Kleine Luegen erhalten die Liebe
geschäftliche Besprechung, Mann.«
»Da muss ich dir zustimmen«, sagte Mia. »Wir sind zum Abendessen hier und nicht auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen.«
Norm schien ein bisschen gekränkt zu sein. »Hey, ich versuche nur, alles richtig zu machen«, erwiderte er und spreizte verteidigend die Hände. »Ich komme mir ohnehin schon wie ein Trottel vor, weil wir in Leeds gelandet sind – versteht ihr, was ich meine?« Er rückte seinen Schlips zurecht. »Ich will nur, dass sie stolz auf uns sein kann. Ihr scheint vergessen zu haben, dass wir die Liste inzwischen abgearbeitet haben müssten, was jedoch leider nicht der Fall ist. Ich dachte nur, wir könnten nachsehen, wie weit wir sind.«
»Später, Norm«, sagte Melody beruhigend und berührte ihn am Arm. »Reg dich nicht auf, wir werden später nachschauen!«
Sie bestellten das Essen: Felsenaustern, weil Melody darauf bestand (und sie auf ihre Rechnung gingen). Dabei wusste Mia nicht einmal genau, ob sie Austern mochte. Hatte sie vielleicht sogar eine lebensgefährliche Allergie dagegen? Tod durch einen von Austern verursachten anaphylaktischen Schock …
Was war heute los mit ihr, dass sie solch morbide Fantasien hatte? Eigentlich sollte es doch ein glücklicher Tag sein.
Aber natürlich war der Tag kein glücklicher – nicht wirklich, da es im Grunde gar nicht Livs Geburtstag war. Schließlich war es ihr nicht vergönnt gewesen, ihren dreißigsten Geburtstag zu erleben.
Die Felsenaustern wurden serviert – glänzend und, wie Mia nicht umhinkonnte zu denken, mit der Konsistenz von dicken Schleimklumpen. Sie aß trotzdem zwei und fühlte, wie sie ihre Kehle hinunterglitten und einen Geschmack von Essig und Zitrone in ihrem Mund hinterließen.
»Also das ist doch mal echt romantisch«, sagte Fraser, und alle lachten, was eine sehr befreiende Wirkung hatte. Dann erzählte er eine scheußliche Geschichte (mit allen unappetitlichen Details) von sich und Liv und einer gemeinsamen, von Austern verursachten Nahrungsmittelvergiftung. Mia fragte sich, ob er sie ein bisschen ausgeschmückt hatte, nur um die Stimmung ein wenig aufzuheitern.
Melody wollte einen Wein bestellen – eine Flasche Burgunder für siebenundfünfzig Pfund. Fraser, der Mias Gesicht sah (siebenundfünfzig Pfund waren mehr oder weniger, was sie in der Woche zum Leben hatte), überstimmte sie jedoch und bestellte den Wein des Hauses, einen Weißwein.
Es war das, was Liv gewollt hätte.
Aber hätte sie wirklich irgendwas von alldem gewollt?, fragte Mia sich plötzlich. Und wann immer Fraser und sie einen Blick wechselten, vermutete sie, dass er das Gleiche dachte.
Sie plauderten und lachten; sie sprachen über Anna und rätselten, was ihr Problem sein könnte, und Fraser wurde immer impertinenter, je mehr Alkohol er zu sich nahm:
»Hol sie der Teufel! Sie ist bloß auf Aufmerksamkeit aus. Wahrscheinlich hält sie eine buddhistische Zeremonie in ihrem Zimmer ab und singt die Wände an oder irgend so was. Sie wird quietschfidel sein, wie ich sie kenne.« Aber trotz allem herrschte eine angespannte Stimmung bei dieser Geburtstagsfeier ohne Geburtstagskind.
Mia ließ den Blick über ihre Freunde gleiten, als Annas Worte ihr wieder in den Sinn kamen, und dachte: Sie hat recht. Sie waren nicht mehr die fünf von früher – auf jeden Fall nicht mehr dieselben fünf, die sie damals auf Ibiza gewesen waren. Sie waren ja nicht einmal mehr dieselben fünf, die sie letztes Jahr um diese Zeit gewesen waren.
Sie beobachtete Fraser, der lachte und scherzte. Er war sehrviel selbstsicherer als der Mann, der vor einem Jahr auf ihrem Sofa gesessen und geweint hatte wie ein Kind. Doch er sah auch älter aus – unbestreitbar attraktiv, aber definitiv älter. Sie hatte noch nie zuvor ihre Freunde angesehen und gedacht, dass sie gealtert waren; dies war das allererste Mal.
Norm und Melody waren heute geschieden, und trotzdem hatte Melody erst wenige Tage zuvor gesagt, sie sei schon lange nicht mehr so glücklich gewesen. Sie hatte auf den Eingangsstufen ihres ehelichen Hauses gesessen und sich angeschickt, ihre und Norms Sachen durchzusehen und aufzuteilen.
Das liege daran, dass die Dinge sich veränderten, hatte Mia ihr gesagt; dass sie sich weiterentwickelten. Und plötzlich wurde sie furchtbar traurig bei dem Gedanken, dass Liv sich nie weiterentwickeln würde.
Sie würde nie erfahren, wie es war, geschieden oder auch nur verheiratet zu sein; ihr Gesicht und Körper würden niemals altern. Mrs.
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