Kleine Luegen erhalten die Liebe
ein Kleid entschieden, und die Jungs waren im Anzug gekommen.
Beide sahen darin sehr gut aus, fand Mia: Fraser groß und distinguiert; Norm mit funkelnden Augen und einem perfekt getrimmten Bart. Als Mia aus dem Aufzug trat und sie sah, hatte sie für den Bruchteil einer Sekunde wieder das Bild vor sich, wie sie nach Livs Beerdigung in dem geschmackvollen Wohnzimmer ihrer Eltern standen und mit ihrem Vater sprachen.
Das muss aufhören!, sagte sie sich entschieden.
Alle erhoben wenig später ihre Gläser zu einem Toast. »Trinken wir auf Liv!«, sagte Norm. (Fraser hatte behauptet, nichtbetrunken genug zu sein, um diesen besonderen Toast auszubringen.) »Happy birthday, Liv! Wir vermissen dich ganz furchtbar, Süße.« Und erst als alle miteinander anstießen und mit Tränen in den Augen an ihrem Glas nippten, fragte Melody plötzlich:
»Moment mal – wo ist Anna?«
Sie sahen einander an.
»Oh Mann, ich hab die Nase gestrichen voll!« Fraser knallte sein Glas auf den Tisch und ging auf die Treppe zu. »Das mache ich nicht mehr mit, ich gehe jetzt rauf.«
Mia eilte ihm nach. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, als fielen Annas Launenhaftigkeit und die Fähigkeit, alles zu verderben, die sie neuerdings zu haben schien, in ihren Verantwortungsbereich, und sie wollte nicht, dass Fraser sich mit Anna auseinandersetzen musste.
»Warte!«, sagte sie und hielt ihn am Jackett zurück. »Ich werde hinaufgehen und sie holen. Du bleibst hier.«
Sie nahm den Lift zum zweiten Stock und klopfte leise an die Tür von Zimmer zweihundertzwanzig an. »Anna, ich bin’s. Wir warten unten schon alle auf dich. Wirst du noch lange brauchen?«
Sie konnte leise Worte und gedämpfte Musik hören. Zehn Sekunden später klopfte sie noch einmal an.
»Anna?«, fragte sie, lauter diesmal. »Öffne die Tür, ich bin’s, Mia!«
Die Worte verstummten, und Schritte näherten sich der Zimmertür. Als Anna schließlich öffnete, war sie noch im Bademantel und hielt ein Glas in der Hand. Sie sah aus, als hätte sie geweint.
»Oh, Anna!«, murmelte Mia.
»Oh was ?«, entgegnete sie schulterzuckend.
»Darf ich reinkommen?«
Anna ging zurück ins Zimmer, ließ die Tür aber offen, und so folgte Mia ihr hinein. Kerzen brannten, und vier leere Miniflaschen Wodka standen auf der Frisierkommode. Anna war mitten in ihrer eigenen Party, wie es schien.
»Möchtest du einen Drink?«, fragte sie und ging zur Minibar. Ich habe Wodka und Gin. Ich kann aber auch eine Flasche Wein aufmachen, wenn du möchtest?«
»Nein, ich möchte nichts trinken, danke«, sagte Mia. »Ich will nur wissen, was los ist. Was mit dir los ist.«
Anna stürzte ihren Drink hinunter. »Ich glaube, du weißt, was mit mir los ist, Mia.« Sie lächelte mit zitternden Lippen. »Ich habe unser Gespräch im Januar nicht vergessen. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist.«
Mia stieß ein kurzes, nervöses Lachen aus. »Aber Anna, das ist doch vollkommen belanglos!«
»Was ist belanglos, Mia? Dass du in Fraser verliebt bist? Das findest du belanglos?«
Mia schluckte. »Ich bin nicht in Fraser verliebt. Ich weiß nicht, vielleicht war es ja irgendwann mal so …« Sie machte eine Pause. »Okay, wer weiß? Vielleicht bin ich es ja immer noch. Doch selbst wenn es so ist, Anna, was soll’s? Verstehst du, was ich meine?«
Anna starrte sie aus grimmigen blauen Augen an.
»Warum kümmert dich das? Ich meine das nicht böse – doch was können wir beide schon dagegen tun?« Und kaum hatten die Worte Mias Mund verlassen, erschienen sie ihr auch schon total vernünftig. Selbst wenn es nur eine Ausflucht war – was konnte sie dagegen tun?
»Es geht heute nicht um Fraser oder Norm oder dich«, fuhr Mia fort. »Es geht um keinen von uns, sondern nur um Liv und darum, diesen Abend so schön wie möglich für sie zu gestalten.«
Anna lächelte und ging zum Frisiertisch hinüber. »Genau das ist der Grund, warum es auch um alle anderen geht«, sagte sie und füllte ihr Glas auf. »Warum es um dich und Fraser geht …« Sie beendete den Satz nicht, und Mia bewegte sich nervös.
Dann gab sie Mia ein Foto. »Erinnerst du dich daran?«
Es war eine Aufnahme von ihnen allen auf Ibiza. Es war Abend, doch sie trugen noch Bikinis und Shorts, und mit ihrer Sonnenbräune, die selbst im Mondlicht gut zu sehen war, boten sie ein Bild der Gesundheit und der Jugend. Sie standen vor der Beach Bar , in der Nacht, in der Liv gestorben war, und hatten die Arme umeinander geschlungen, hielten
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