Kleine Luegen erhalten die Liebe
um, um festzustellen, dass mindestens drei Bänke voller Studenten sie jetzt anstarren. »Nein, wirklich, diesmal gehen wir, Fraser.« Sie treibt ihn an wie ein unartiges Kind. »Komm schon! Raus jetzt!«
♥
Wenig später sitzen sie auf der Piazza, diesmal direkt vor dem Eingang, und versuchen, den beginnenden Regen zu ignorieren.
»Gott, ich komme mir vor, als wären wir aus einem Club rausgeschmissen worden«, sagt Fraser, bevor er seine Zigarette ausdrückt und die Arme um die Knie schlingt, als er den letzten Qualm ausstößt.
Anna schnaubt humorlos. »Wenn du dich so fühlst, fühle ich mich, als wäre ich hochschwanger beim Rauchen erwischtworden: zutiefst beschämt und gedemütigt. So fühle ich mich, Fraser.«
»Ach … beruhige dich, Anna!«
»Ja? Was, glaubst du, würde Liv denken, wenn sie dich da drinnen hätte sehen können?«
»Sie hätte Beifall geklatscht.«
»Das hätte sie nicht !«
»Oh, doch! Sie war meine Freundin. Ich kannte sie besser als jeder andere und kann daher aus vollster Überzeugung sagen, dass sie applaudiert hätte.«
Anna legt den Kopf auf ihre Knie und sieht Fraser von der Seite an. Eine lange Pause entsteht.
»Aber kanntest du Liv wirklich ?«, meint sie dann.
»Was soll denn das wieder bedeuten?«
»Nichts, ich frage mich nur, wie gut man einen anderen Menschen kennen kann? Wie kann man jemand anderen hundertprozentig kennen und wissen, was in seinem Kopf vorgeht? Das ist alles.«
Fraser stößt ein nervöses Lachen aus. »Du machst mich noch wahnsinnig. Ich sage doch eigentlich nur, dass dieser Mann da drinnen ein ausgemachter Knallkopf war. Das konnte jeder sehen. Was habe ich ihm getan – einem Wildfremden, wie wir nicht vergessen sollten –, das rechtfertigen würde, dass er mich so anpfeift, an einem öffentlichen Ort, und nicht nur einmal, sondern zweimal?«
»Karma.«
»Was?«
»Karma«, wiederholt Anna schulterzuckend. »Was man sät, das wird man ernten, und wie man in den Wald hineinruft …«
»Okay, okay, jetzt klingst du völlig irre, Anna. Also sag schon«, fordert Fraser. »Was meintest du damit?«
»Ich meinte, dass alles sich früher oder später rächt. Allesgeschieht aus irgendeinem Grund, nicht wahr? Und alles im Leben gleicht sich wieder aus.«
Fraser verdreht die Augen, doch tief in seinem Inneren verkrampft sich alles. Seit Anna Buddhist-Steve kennt – der Frasers Ansicht nach viel zu gern seine eigene Stimme hört –, ist sie so, wirft mit Worten wie »Karma« um sich und bringt schwierige philosophische Fragen in ganz normale Gespräche ein. Es beginnt ihn langsam schwer zu nerven.
»Du musst aufhören, dich mit diesem Steve zu treffen«, sagt er. »Du verzapfst schon den gleichen Unsinn wie er.«
Anna seufzt müde, rappelt sich auf ihre langen, dünnen Beine auf und streicht sich den Rock glatt.
»Was Steve erzählt, ist sehr vernünftig, Fraser. Es ist nur die Vernunft, die aus ihm spricht, und nichts Bizarreres als das.«
»Tatsächlich? Nun, ich gehe jetzt in den Pub – da hast du was Vernünftiges –, und du kannst gern mitkommen, wenn du mir versprichst, nicht von Karma zu reden oder mir zu erzählen, mich erwartete ein fürchterliches Schicksal, nur weil ich ein paar Gläser Bier trinke.«
Er geht ein paar Schritte, doch sie folgt ihm nicht.
»Einverstanden?«, fragt er und dreht sich zu ihr um.
»Ja, okay«, sagt Anna, zupft aber an ihrem Haar herum und scheint noch nachzudenken.
»Gott sei Dank«, murmelt Fraser und schickt sich an, die Piazza zu überqueren.
Auf halber Höhe hört er jedoch Anna schreien: »Hör mal, Fraser«, und dreht sich um. »Ich sprach nicht nur von dir, Mann, sondern auch von mir, okay?«
♥
Sie landen in einem alten Pub, einer richtigen Kneipe, in einer Nebenstraße der Euston Road.
Zunächst fühlt Fraser sich recht wohl. Er kann sich nicht erinnern, je allein mit Anna ausgegangen zu sein, und sie ist unterhaltsam, wenn sie etwas intus hat: mädchenhaft, ein bisschen albern und (nachdem sie endlich die blöde Brille abgenommen hat) viel mehr wie die Anna aus ihren Zeiten an der Uni.
Sie reden über ihren Job in dem Modehaus, ihre verrückte Chefin, die um vier Uhr nachmittags zu trinken anfängt und dann darauf besteht, dass Anna sich zu ihr ins Büro setzt, um sich die Fotos ihres Hundes auf dem Computer anzusehen.
Fraser erzählt Anna auch von seinem Job, von dem Miesepeter Declan, dem Veteran unter den Tontechnikern, der ständig darauf herumreitet, dass es »zu seiner
Weitere Kostenlose Bücher