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Kleine Luegen erhalten die Liebe

Kleine Luegen erhalten die Liebe

Titel: Kleine Luegen erhalten die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katy Regan
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Gedicht ist so lang, dass es in separate Bücher aufgeteilt ist. Das darf doch wohl nicht wahr sein!, denkt Fraser. Bestand nicht der ganze Sinn des Dichterdaseins darin, dass man nicht so viel schreiben musste? Er beschließt, mit dem Vorwort zu beginnen, das einen Überblick über Wordsworth’ Leben gibt. Ja, um Poesie zu verstehen, fängt man am besten mit dem Poeten selbst an. Zu behaupten, dass dieser Mann die Natur und den Lake Distrikt liebte, war noch untertrieben. Liv liebte die Seen auch und organisierte oft Campingausflüge mit den anderen dorthin. Fraser hat eine besonders liebevolle Erinnerung an einen regnerischen Nachmittag in Bowness, wo sie gleich eine ganze Campingausrüstung erwarben.
    Er liest weiter und stellt sich den alten Willy Wordsworth in Rüschenhemd und knielangen Hosen vor, wie er, von Ehrfurcht ergriffen, vor einem Volke von gold’nen Osterglocken steht .
    Ich wandert’ einsam wie die Wolke ist ein Gedicht über die Natur und die Erinnerung , liest Fraser, über die Eintracht zwischen Mensch und Natur. Die Narzissen werden personifiziert, der Sprecher ist Teil der Szene, wandert einsam wie eine Wolke   …
    Es scheint viel zu geben über dieses Konzept der »Eintracht zwischen Mensch und Natur« und »dem Sublimen«, wovon Fraser, der schließlich Philosophie studiert hat, sehr angetan ist. Es klingt transzendental und psychedelisch, als wäre es unter Drogeneinfluss geschrieben worden. Waren sie nicht alleauf Drogen gewesen, diese romantischen Poeten? Berauscht von Opium?
    Er sucht »sublim« bei Wikipedia :
    Eine Ausdrucksform in der Literatur, wo der Autor sich auf Dinge in der Natur bezieht, die den Geist mit einem Gefühl überwältigender Größe erfüllen   …
    Hm. Das klingt ein bisschen vage.
    Er beugt sich zu Anna vor. »Hey, was ist dieses ›Sublime‹, von dem ich ständig lese? … Es klingt – nun ja, sublim !«
    Anna schaut ihn verwundert an; auf der anderen Seite des Tisches zischt jemand. Dann beugt Anna sich vor und rückt ihre Brille zurecht, als wäre sie im Begriff, ihm eine bahnbrechende intellektuelle Weisheit zu vermitteln.
    »Ich denke, es beschreibt einfach nur einen Zustand, in dem Wordsworth richtig glücklich war«, sagt sie mit einem durchdringenden Blick in Frasers Augen. »Kennst du das Gefühl, wenn du etwas wirklich Schönes siehst und alles sich so gut und richtig in der Welt anfühlt, dass es sich mit Worten nicht beschreiben lässt?«
    Fraser ist beeindruckt. Vielleicht war er zu vorschnell gewesen mit seiner Annahme, dass Anna nichts über Wordsworth wusste, denn er versteht sehr gut, was sie ihm zu erklären versucht. Er kann sich erinnern, dass die Landschaft oben an den Seen ihm die Sprache raubte; er weiß nur nicht mehr, wann er das letzte Mal das Gefühl hatte, als wäre alles gut und richtig . Hat er das überhaupt schon einmal so empfunden?
    »Sieh mal!«, wispert Anna und schiebt ihr Buch zu ihm hinüber. »Dieses Gedicht ist berühmt dafür, dass es die Sache mit dem Sublimen erklärt.«
    Fraser nimmt das Buch: Verse, verfasst ein paar Meilen ober halb von Tintern Abbey, als ich im Verlauf einer Reise die Ufer des Wye wiederbesuchte , nennt es sich. (Zehn von zehn Punkten für einen ansprechenden Titel …)
    »Lies diese Zeile!« Sie zeigt darauf. »Das ist es, was er meinte.«
    … das feinerer Betrachtung wert erscheint: Es ist die selige, beglückte Stimmung, in der die Bürde des Mysteriums, das schwere und beschwerende Gewicht der Welt mit ihrer Unbegreiflichkeit und ihrem Unverstand, erleichtert wird.
    Zufriedenheit vielleicht? Es klingt sehr hübsch, was immer es auch ist, denkt Fraser. Ich werde etwas davon nehmen. Er will es gerade Anna sagen, als sein Handy (zumindest das hat er auf stumm gestellt) zu vibrieren beginnt. Fraser wirft einen Blick auf das Display. KAREN steht dort in Großbuchstaben, und zuerst drückt er sie weg, aber zwanzig Sekunden später ruft sie wieder an. Fraser schaut sich um. Er könnte hinausgehen, doch sie sind auf der anderen Seite der Bibliothek, so weit entfernt vom Ausgang, wie man nur sein kann, und er weiß nicht, ob es nicht etwas Wichtiges ist. Schließlich geschehen ja auch Unfälle. Wie typisch es doch für ihn wäre, wenn sie ausgerechnet an dem Tag, an dem er sie zu ignorieren beschließt, überfallen würde oder unter einen Bus geriete!
    Deshalb geht er dran, legt die Hand um das Gerät und bückt sich halb unter den Tisch, um so leise wie nur möglich zu sein. »Ich bin in der

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