Kleine Luegen erhalten die Liebe
Sonnenbrillen versteckt – auf derTerrasse gesessen und Rommé gespielt. Danach waren sie zum Strand hinuntergegangen, und es war ein ganz normaler Tag am Meer gewesen. Liv hatte ein Kochbuch gelesen (irgendwas von Gary Rhodes über »ein mediterranes Abenteuer«), und alle hatten sie erbarmungslos geneckt, weil nur Liv auf die Idee kommen konnte, ein Kochbuch als Strandlektüre mitzunehmen.
Es war ihr vorletzter Abend auf Ibiza, und alle hatten sich darauf geeinigt, ihre Kräfte für die letzte Nacht zu schonen, und ein Barbecue und einen ruhigen Abend in ihrem Ferienhaus geplant.
Natürlich kam es anders, denn vom Strand aus gingen sie direkt in eine Bar. Liv trug ein kurzes weißes Strandkleid über ihrem Bikini, das ihre in zwei Wochen erlangte Sonnenbräune fabelhaft zur Geltung brachte. Von der Bar zogen sie zu einem Strandclub weiter, wo der DJ Musik aus den Neunzigern spielte, zu der man herrlich ausgelassen tanzen konnte und die genau das Richtige für ihre Urlaubsstimmung war.
Alle fuhren voll darauf ab und fühlten sich ausgesprochen wohl – zumal der berauschende Duft des Oleanders, der durch die offenen Türen der Bar hereindrang, dem Ambiente noch einen besonders angenehmen Touch verlieh.
Fraser erinnert sich, wie Liv ihm ins Ohr schrie: »Ich gehe eine Runde im Lake Liv schwimmen!« Es war ein kleiner Scherz zwischen ihnen. »Ich kann diesem Meer keine Sekunde länger widerstehen. Sieh es dir an, Frase!«, sagte sie und wandte sich zum Strand um. »Ist es nicht wunderschön?«
Und auch Fraser hatte sich umgedreht und den Arm um sie gelegt, um das Meer zu bewundern, das in dem hellen Mondlicht auch schon fast zu tanzen schien.
Dann war sie gegangen, und er hatte sich nicht viel dabei gedacht, sondern sich wieder unter die Tanzenden gemischt. Der Abend verging, und irgendwann waren sie wieder alle inihrem Ferienhaus, ein bisschen schlapper, aber noch immer mit lauter Musik und mindestens acht verschiedenen Getränken, die sie in der Bar gekauft hatten. Fraser sieht in Gedanken noch vor sich, wie Liv mit klitschnassem Haar vor dem Kühlschrank stand, um ein Bier herauszunehmen, und sich eine große Pfütze Meerwasser um ihre Füße sammelte.
Und dann, Stunden später nur, war Liv nicht mehr. Nur die Pfütze vor dem Kühlschrank war geblieben. War Liv in diesen letzten Stunden glücklich gewesen? Er weiß es nicht. Hatte sie den Kuss gesehen? Er ist sich dessen beinahe sicher.
Und deshalb sagt er: »Ich habe keine Ahnung, Anna. Ich weiß nur, dass diese Liste abzuarbeiten eine Möglichkeit ist, die Dinge zu tun, die sie glücklich gemacht hätten , und das ist alles, was wir jetzt noch für sie tun können.« Es ist eine Lüge, in Wahrheit fühlt Fraser sich immer unwohler mit dem Abarbeiten der verdammten Liste. Dennoch sagt er: »Ich finde sogar, dass es eine geniale Idee von Mia war. Eine wirklich wohlüberlegte Idee von ihr.«
Anna lacht humorlos auf. »Ja, mir ist schon klar, dass du das findest!«
Fraser kann spüren, wie sich ihm die Nackenhaare sträuben. »Was zum Teufel soll denn das schon wieder heißen? Warum musst du immer wieder mit so ’nem Mist anfangen?«
»Wieso Mist? Ihr scheint euch doch wirklich sehr nahezustehen, Mia und du.« Anna ist inzwischen sehr betrunken und starrt ihn aus feuchten Augen an. »Immer habt ihr diese kleinen Plaudereien miteinander, bei denen ihr eure eigenen Pläne ausheckt, und seit Liv tot ist, habt ihr die ganze Zeit zusammen herumgehangen. Ihr seid sogar zusammen zu der Beerdigung erschienen.«
Jetzt wird Anna mies – warum wendet sie sich plötzlich gegen Mia? Fraser versteht es nicht.
»Sie war Livs beste Freundin! Meine Freundin. Unsere Freundin.« Sein Herz klopft zum Zerspringen, denn eines weiß er: Ungeachtet dessen, dass alles stimmt, was er zu ihrer Verteidigung sagt, hat Mia Liv in gewisser Weise doch verraten. Sie beide haben Liv verraten und betrogen. »Warum bist du so … Ach, du hast sie nicht mehr alle, Anna!«
In einer theatralischen, affektierten Geste, als spielte sie in einem Film mit, stürzt sie ihren Drink in einem Zug hinunter.
Fraser fragt sich, ob sie doppelte Bacardi bestellt hat. Oder dreifache sogar? Sie hatten nur drei Drinks bisher, und sie ist total betrunken.
Entschlossen steht er auf. »Das war’s, ich gehe. Karen wird sich fragen, wo ich bleibe, und ich habe – ganz im Gegensatz zu dir – auch keine Lust auf Streit. Aber wir sehen uns bald mal wieder, Anna, ja? Wir treffen uns auf einen Kaffee,
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