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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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es in Beschlag. Auf diesem grünen Monstrum, entlang irgendwelcher Sand- und Feldwege, lernte ich, wie man zweirädrig die Balance hält, während mein älterer Bruder gleichzeitig dieselbe Übung mit Opas Moped durchzog.
    Meine Großeltern besaßen einen kleinen Bauernhof in der Nähe von Meißen (bei Dresden). Gehöft und Garten waren ein Schlauch, der sich von der Dorfstraße hinunter an die Elbwiesen zog. Während diese Seite flach und landwirtschaftlich genutzt dalag, stieg das gegenüberliegende Ufer an, und exakt dem Grundstück meiner Großeltern gegenüber thronte auf dem bewaldeten Höhenrücken die Burg Scharfenberg.
    Meter für Meter und irgendwann auch Kilometer stahl ich mich auf Omas Rad davon, und irgendwann schloss mein Aktionsradius auch Scharfenberg ein. Die Elbe bei Dresden war damals eine schwarze, stinkende Brühe, in der nichts lebte und vor der ich mich gruselte, ein wahrer Unterweltstrom. Ein paar Meter vom Garten meiner Großeltern entfernt führte ein Weg zur Fähre. Ich hatte ein paar Mal mit meinem Onkel über die Elbe zur Burg übergesetzt, und eines Tages schnappte ich mir das Rad und unternahm die Tour ohne Begleitung. Scharfenberg war sozusagen mein erster Anstieg der
Hors Catégorie
. Nicht dass jetzt jemand verblüfft nach dem Atlas greift und irgendeinen erwähnenswerten Berg bei Dresden sucht, es waren beziehungsweise sind vielleicht fünfzig Höhenmeter von der Elbe zur Burg, aber für einen Knirps, der kaum in den Sattel kommt und die meiste Zeit im Stehen treten muss, war es eine veritable Prüfung – zumal er nicht wagte abzusteigen, um eine Pause einzulegen, weil er die zahllosen braunschwarzen Nacktschnecken auf dem wurzeldurchwachsenen Waldweg für gefährliche Blutegel hielt ...
    Du wackeres altes Damenfahrrad, ich hatte dich doch tatsächlich vergessen, so wie ich die Fähre und den Weg zur Burg und was weiß ich noch alles vergessen hatte. Dabei bin ich mit dir vermutlich glücklicher gewesen als jemals mit einem deiner Nachfolgemodelle. Wie oft bist du mit mir im Dreck gelandet, sogar in die Elbbrühe habe ich dich einmal gefahren, aber nie wolltest du mir den Dienst quittieren. Ich hoffe, du hast ein schönes trockenes Plätzchen im Fahrradhimmel gefunden.

Stadtradeln
oder:
Einkalkulierte Verwahrlosung
    Man muss kein gewohnheitsmäßiger oder gar in Passionsnähe agierender Radfahrer sein, um gerade in der Stadt aufs Auto zu verzichten. Es ist bei der heutigen so genannten Verkehrsdichte kaum möglich, innerhalb einer größeren Kommune mit dem Fahrrad langsamer von A nach B zu kommen als mit dem Auto. Spätestens bei der Parkplatzsuche holt sogar ein radelnder Pensionär entscheidende Sekunden heraus. Wer sich ein Fahrrad anschafft, muss nicht viel mehr als 1000 bis 1500 Euro investieren, um sogar gebirgstaugliches Material zu bekommen. Autos dagegen verschlingen unglaublich viel Geld, obwohl sie die meiste Zeit herumstehen, von den Anschaffungskosten ganz abgesehen: für Benzin, Unfallversicherung, Kfz-Steuer – und ständig fallen teure Reparaturen an. Überdies ist man von Staats wegen bei Strafe gehalten, hinter dem Lenkrad permanent nüchtern zu bleiben, ein entscheidendes Hindernis bei der Abendgestaltung, während auf dem Rad sowohl die Kontrollwahrscheinlichkeit als auch das Unfallrisiko vergleichsweise gering sind. Ich kann mich auch nicht erinnern, mich mit motorisiert mobilen Menschen je irgendwo erwähnenswert amüsiert zu haben, also zum Beispiel mit Typen, die im Porsche vorfahren und Wasser zum Essen trinken, ohne dabei den Verdacht gründlich auszuräumen, dass sie auch Wasser trinken würden, wenn sie zu Fuß gekommen wären ... – ich schweife ab.
    Bei Frauen verhält es sich ein bisschen anders, auch hinsichtlichdes Porsches (zu einer Frau passt so ein Wägelchen schon besser), sie dürfen also ein Auto haben. Ich sehe ein, dass die allgemeine Gesellschaftsentwicklung sowie speziell die deutsche Einwanderungspolitik oder auch -nichtpolitik dazu geführt haben, dass Frauen es vielerorts für ratsam erachten, abends lieber nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln heimzufahren. Überdies müssen sie mitunter kleine Kinder zeitgleich mit größeren Einkäufen transportieren. Fern jeder Konsequenz finde ich es sehr praktisch, dass inzwischen fast alle Frauen ein Auto besitzen, und als ich mal eine kennen lernte, die keinen Führerschein besaß, empfand ich das keineswegs als verwandte Aversion, sondern als unverzeihlichen Makel.
    Was wiederum den

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