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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Höhenmeter drin; dem Quadrizeps ist es ja egal, ob sich das Rad bewegt. Tags darauf könnte dann die ›Odyssee‹ folgen, vorgelesen von Thomas Holtzmann. Voß’sche Übersetzung. Hexameter vertragen sich gut mit Spinning. Den XXII. Gesang – das ist der, wo es den Freiern an den Kragen geht – komplett im Stehen. Unter diesem Aspekt sollte ich’s vielleicht mal mit Ernst Jüngers ›Marmorklippen‹ versuchen (die ›Stahlgewitter‹ gibt’s leider nicht als Hörbuch). Proust dagegen wäre wohl eher unpassend. Aber das ist Geschmackssache.
    Mir kommen beim Training auch oft Ideen für meine Bücher und journalistischen Etüden, die ich mir dann, stets von Neuem überrascht und deshalb nichts zum Schreiben bei mir habend, per Handy auf die Mailbox quatsche. Was ich eben in Sachen Stumpfsinn sagte, lässt sich also auf diesem Wege etwas relativieren. Sprich: kultivieren. Ich habe zum Beispiel sehr viele Opern
auf der Rolle
kennen und schätzen gelernt. Wer will, kann bei dieser Gelegenheit auch einen Sprachkurs absolvieren oder die Mythologie der alten Ägypter auswendig lernen (das sind dann natürlich eher Flachetappen). Der Hörbuchmarkt hat in den vergangenen Jahren quantitativ und auch qualitativ enorm zugelegt. Nahezu alle so genannten großen Romane der Weltliteratur sind zu haben. ›Moby Dick‹ oder ›Don Quijote‹ passen von ihrem Vergeblichkeits-Sujet her gut zum Pedalieren, und auch Lyrik vermag ihre suggestive Kraft bei dieser Gelegenheit verblüffend zu entfalten. Erwähnte ich schon Rolf Boysens wunderbar martialischen ›Ilias‹- Vortrag? Da wandert die Hand schon mal zum Widerstandsregler.
    Das tut sie freilich weit wahrscheinlicher bei Pop-Musikim allerweitesten Sinne, also Musik mit E-Gitarren und Schlagzeug. Was ein Kerl ist, der scheut nicht einmal vor Britney Spears zurück (deren notorischer Arschwackelrhythmus übrigens erstaunlich Spinning-kompatibel ist), indes eignet sich nach meiner Erfahrung, neben den hiesigen Lärmanimateuren von Rammstein, am besten so genannter Brit-Pop. Bands wie Radiohead, Pulp, Muse, Placebo, Blur, bei denen es richtig abgeht und die Beine einfach mitgerissen werden. ›Karma Police‹ von Radiohead oder ›Slave to the Wage‹ von Placebo sind solche Titel, auch das gute alte ›Summer ’68‹ von Pink Floyd (oder ›Radioaktivität‹ von Kraftwerk!), wo zumindest ich mich schon mal aus schierer Begeisterung in einen Zimmerspringbrunnen verwandle, der ja bekanntlich auch nicht von der Stelle kommt.
    Unvermeidlich läuft’s darauf hinaus: Hier nun also meine Top Ten der Spinning-bergetappentauglichen CD’s (ein bisschen Nutzwert soll ja auch sein):
    1. Placebo:
    ›Placebo‹
    2. Radiohead:
    ›O. K. Computer‹
    3. Pulp:
    ›This is Hardcore‹
    4. Rammstein:
    ›Herzeleid‹
    5. Rammstein:
    ›Mutter‹
6. Pink Floyd:
    ›The Division Bell‹
    7. Smashing Pumpkins:
    ›Adore‹
    8. Placebo:
    ›Black Market Music‹
    9. Smashing Pumpkins:
    ›Greatest Hits (Rotten Apples)‹
    10. Rammstein:
    ›Reise, Reise‹
    Ursprünglich hatte ich Led Zeppelin: ›Remasters‹ (speziell wegen ›Kashmir‹!) auf Platz 10, auch Pink Floyds ›The Wall‹ wäre als bewährter Stimulus angezeigt gewesen, aber RammsteinsNeueste hat sich hineingedrängt, vor allem wegen der ›Erlkönig‹- Variante ›Dalai Lama‹ und des schwärmerischen ›Ohne dich‹, das auch textlich den Anforderungen einer Alpenpass-Imitation gewachsen ist (»Auf den Ästen, in den Gräben/Ist es nun still und ohne Leben/Und das Atmen fällt mir ach so schwer/Weh mir, oh weh/Und die Vögel singen nicht mehr«) 1 .
    Ein Klassik-Ranking werde ich mir verkneifen. Ja, klar: Ravels ›Bolero‹, Liszts ›Les Preludes‹. Dass Bruckner funktioniert, deutete ich an. Am besten für die Simulation langer, moderater, dennoch rauschrelevanter Steigungen. Das Scherzo aus der Neunten taugt wiederum für einen kurzen, giftigen Anstieg. Gustav Mahler? Vor allem die Sechste, das komplette Andante im Wiegetritt. Die Kopfsätze der Zweiten, Dritten und Fünften. Wer hier so etwas wie einen ästhetischen Würgereiz empfindet, muss sich fragen lassen, ob es viel stilvoller ist, sich Bruckner oder Mahler daheim auf dem Sofa reinzuziehen und dazu Champagner zu trinken oder Erdnüsse zu essen. Mahler war bekanntlich durchaus körperlich gesinnt, ein strammer Marschierer und guter Schwimmer, vielleicht hätte es ihn amüsiert, dass jemand seine Märsche auf dem Fahrrad mittritt. Mozart zum Beispiel hätte mit

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