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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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phantasievollen Speisen. »Senegals bester Ananassaft!«, wirbt ein Plakat stolz. »Ouagadougou Transporte«, lesen wir auf einer Tafel. Ein Straßenverkäufer versucht, eine Gruppe von älteren, schwarzen Männern zum Kauf seiner Telefonkarten zu überreden. Sie ermöglichen angeblich billige Telefonate nach Algerien, Tunesien, den Kapverdischen Inseln, der Elfenbeinküste, dem Kongo.
    Wir erreichen die Rue du Mont Cenis, wo wir nach links abbiegen, um den Montmartre zu erklimmen. Der Weg ist steil. Wir schnaufen, als wir oben ankommen, inmitten von unzähligen Touristen, von denen die engen, gepflasterten Gassen nur so wimmeln. Sie plappern in Englisch, in Italienisch, Deutsch, Spanisch, Chinesisch, Japanisch, Portugiesisch, in Russisch, in Ungarisch. Wir müssen geduldig sein, müssen in einer Schlange hinter ihnen hergehen.
    Schließlich erreichen wir den Platz vor der Basilika des Sacré Cœur. Paris liegt vor unseren Augen, zu unseren Füßen. Wir öffnen unsere Arme. Ziehen die scheinbar endlose Stadt an unser Herz.

Die Kollegin
     
    »Pass bloß auf!«, neckt sie mich. »Dein Bauch steht raus!«
    Ich versuche, meinen Atem anzuhalten, strecke meinen Rücken durch, ziehe den Bauch ein. Habe gestern Abend das letzte Stück Kuchen gegessen. Und hätte widerstehen sollen. »Das macht bloß das T-Shirt«, erwidere ich kraftlos.
    »Aber geh, nicht mit mir!«, kontert sie. »Ha! das ist dein Bauch.«
    »Naja«, ich zucke mit den Schultern und denke, Leck’ mich. »So schaut’s aus, wenn man auf die 40 zugeht.«
    Wir stehen in der Halle im Erdgeschoss. Rauchen. Niemand in der Firma kann sie ausstehen. Sie verdient gar nicht, dass man sie mag. Ich kann sie auch nicht ausstehen. Meine Abneigung ist körperlich, eine Abneigung von der Haut her. Ich kann ihre hochnäsigen Chefmanieren nicht ausstehen, ihre glatte Art, ihr Aussehen, ihr fortwährendes Name-dropping. Sie ist fünfzig plus, mit unnatürlich kohlschwarzem Haar. Sie raucht ultradünne Zigaretten, hält sich für unwiderstehlich, für eine Sex-Bombe. Heute ist ihre kurvige Silhouette in eine enge, schwarze Lederhose gequetscht, eine enge weiße Bluse. Reg’ du dich über meinen Bauch auf, denke ich. Deiner ist noch ärger als meiner.
    »Du gehst auf die 40 zu? Ooooh, das allerschlimmste Alter. Männer zwischen 35 und 50 reiß’ ich mir nie auf«, sagt sie. »Und weißt du, warum? Weil die einfach nicht fertig sind.« Sie bläst Rauch zur Decke hinauf.
    »Wieso?«, heuchelt jemand Interesse.
    »Ganz einfach«, grinst sie.
    Ich kann ihr Grinsen nicht ausstehen. Ich kann ihre Augengläser nicht ausstehen.
    »In dem Alter sind Männer mit ihren Frauen beschäftigt. Mit ihren Kindern. Oder noch schlimmer: sie sind mitten in der Scheidung oder haben sich gerade erst scheiden lassen. Jetzt wissen sie nicht, wollen sie mit einer reifen Frau zusammen sein, die wie eine Göttin bumst.« Sie zeigt auf ihre Brust und macht einen doofen Knicks. »Oder wollen sie lieber eine junge Tussi erziehen. Sexuell, versteht sich. Das Schlimmste ist, Männer in den Vierzigern haben kein Geld, weil sie ihrer Exfrau Unterhalt zahlen müssen.«
    Jemand lacht gekünstelt: »Du stehst also auf junge Männer, richtig?«
    »Falsch«, antwortet sie. »Junge Männer sind doch alle Deppen. Und sie haben sogar noch weniger Geld. Wenn sie dich einladen, kannst du davon ausgehen, dass sie dich blo ß zum nächst gelegenen Mac Donald’s schleppen.« Sie schüttelt den Kopf, wirft ihr glänzendes, gefärbtes Haar über die Schultern. Dann lacht sie. »Das fühlt sich gut an«, sagt sie. »Das muss wohl das erste Mal sein, dass ich wieder Witze mache! Und weißt du, warum? Weil es genau einen Monat her ist. Einen Monat, seit meine Mutter gestorben ist.«
    »Klar, normal. Die Trauer. Du warst nicht zu Witzen aufgelegt«, stimmt ihr jemand mitfühlend zu.
    »Natürlich«, antwortet sie.
    Ich habe meine Zigarette fertig geraucht. »Ich muss wieder. Die Arbeit ruft«, erkläre ich. »Man sieht sich.«
    Selbstbewusst gehe ich durch die Halle. Und ziehe dabei meinen Bauch ein.

Hochzeit in Poitiers
     
    Die Hochzeit fand im Herbst in der Gegend von Poitiers statt. Wir fuhren vom Montparnasse-Bahnhof ab, der TGV sauste durch einen langen Tunnel, beschleunigte, und unsere Ohren schlossen sich eine Minute lang. Mit einem Plop! gingen sie wieder auf. Wir schossen aus dem Tunnel. Vorstädte, Strommasten, Bahnhöfe, Häuser rasten vor dem Zugfenster vorbei. Der TGV erreichte seine

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