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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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Pelzmänteln gereizten Motorradfahrern unflätige Beleidigungen hinterher kreischten. Leute in Chanel- oder Diorkleidung traten in die Pedale klappriger Waffenräder.
    Am lebhaftesten erinnere ich mich aber an die große Müdigkeit. Der Streik dauerte einen Monat. Er endete, als der Premierminister seinen Gesetzesvorschlag zurückzog. Und er, »der Beste unter uns«, trat schließlich zurück. Die einzige Tat, für die er von den Franzosen bejubelt und applaudiert wurde.

Zum ersten Mal in Griechenland
     
    Wir hatten einen zweiwöchigen Urlaub in Agii Apostoli, einem kleinen Dorf nordöstlich von Athen, gebucht. Als wir ankamen, regnete es. Wir stellten unser Gepäck im Hotelzimmer ab und gingen spazieren. In einem kleinen Café unweit vom Hafen tranken wir ein Glas Mythos, eine griechische Biermarke, und sahen uns die verschiedenen Drachmenmünzen an. Leichter Regen plätscherte auf die Pergola. Auf der anderen Seite des Meeresarmes konnte man verschwommen und regenverschmiert die Küste der Insel Euböa erkennen. Im Radio jammerte Notis Sfakianakis weich-melodisch einer lang verlorenen Liebe nach, Bouzouki klimperte dazu, und Bongos im Off-Beat verliehen seiner Tontrauer Rhythmus.
    Dann hörte der Regen auf. Die Sonne kam heraus, hell und groß und weiß, zerstreute die letzten verbliebenen Wolken und vertrieb sie nach Norden. Ein überirdischer Regenbogen öffnete sich über den niedrigen Häusern und Hütten des Dorfes. Während wir zum Hotel zurückgingen, atmeten wir langsam den Geruch trocknenden Asphalts und nasser Erde ein. Der salzige Geschmack der Wellen prickelte uns auf der Zunge.
    Hinter dem Hotel lag ein großer Garten mit exotischen Pflanzen, mit Palmen und prächtig blühenden Magnolien und Rosen in Hülle und Fülle, weißen Rosen, rosa Rosen, roten Rosen, Blut-Rosen. Wir gingen zum Strand hinunter und setzten uns auf den nassen Sand. Schweigend lauschten wir dem Rauschen des Meeres, beobachteten den weißen Schaum, die blauen und grünen und türkisfarbenen Wellen, die hin- und herschwappten.
    Als die Sonne unterging, kehrten wir ins Hotel zurück. Auf dem Pfad, der zum Gebäude führte, fand ich vier Seiten. Jemand hatte Gedichte darauf gekritzelt.

Über Weihnachten zuhause
     
    In jenem Jahr war der Schnee früh gefallen. Die Zugfenster wirkten wie riesige Bildschirme, auf die ein Film in strahlendem Weiß und Blau-Dunkelgrün-Schattierungen projiziert wurde. Schneebedeckte Gipfel, Hänge, Wälder flossen ruhig in der Ferne vorüber. Näher am Zug huschten Tannen, Fichten, Kiefern, Hütten und Häuser vorbei. Manchmal kam ein vorwitziger Zweig zu nahe an des Zuges angespannten Atem und entlud seine Schneelast mit einem frostigen Schauer.
    Am Tag vor Heiligabend schloss ich mich bei meinen Eltern im Kinderzimmer ein. Ich schaltete »Blue Danube« ein, den Radio-Sender in englischer Sprache. Das vorweihnachtliche Programm bestand immer aus klassischen, amerikanischen Weihnachtsliedern. Frank Sinatra, Bing Crosby, Nat King Cole, The Andrews Sisters. Genau das Richtige, um mich in die passende, nostalgisch-kuhäugige Weihnachtsstimmung zu versetzen.
    Ich nahm alte Ausgaben der lachsfarbenen, österreichischen Tageszeitung »Der Standard« und wickelte meine Geschenke ein, während ich »White Christmas« und »Santa Baby« und »The Coventry Carol« mitsummte. Flaumige, kleine Schneeflocken flimmerten die ganze Zeit träge vor dem Fenster vorbei.
    Am Heiligen Abend marschierte die ganze Familie in den Ortsteil, wo die Familie meines Vaters gelebt hatte. In der kleinen Kapelle des Weilers fand immer eine kurze Zeremonie statt. Die Nacht war schwarz und eisig, der hoch aufgetürmte Schnee verschluckte alle Geräusche. Nur unsere Stiefel knirschten hart über die vereiste Straße. Aus vielen anderen Häusern strömten Leute mit altmodischen Laternen in ihren behandschuhten Händen heraus und gesellten sich zu uns. Man sah, wie winzige, schaumig weiße Wolken aus ihren Nasen stieben.
    Die Atmosphäre in der Kapelle war gemütlich. Es handelte sich um ein niedriges, kantiges Gebäude mit einem einfachen Glockenturm. Ein Weihnachtsbaum mit echten Kerzen stand neben dem Altar. Die Kapelle roch stark nach Weihrauch und Bienenwachs. Der Dorfchor sang Weihnachtslieder und fügte jedes Mal Noten hinzu, an deren Existenz in den Originalpartituren ich mich gar nicht erinnern konnte. Seine Darbietung bot stets Anlass zu stiller Heiterkeit, die ich mit meiner Schwester und meiner Cousine teilte. Manchmal mussten

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