Kleine Portionen
Enge T-Shirts, die die Nippel hervorstehen ließen, und den Schritt umschmiegende Jeans schienen obligatorisch. Während ich einem jüdischen Halbgott nachstarrte – gebräunte Haut, schwarze Locken unter der Kippa, weißes Hemd, teure schwarze Hose, die lange, muskulöse Beine umstraffte –, stolperte ich. Und fiel mit einem jämmerlichen »Hoppala!« in den Rinnstein.
Ein schlanker Schwarze las mich auf. Er war nicht wirklich hübsch, aber seine funkelnden Augen und sein warmes Lächeln machten das fehlende, gute Aussehen wieder wett. Sein Name war Arnaud. Und er wollte mich wiedersehen. Er gab mir seine Telefonnummer und bat mich, ihn später anzurufen.
Aus Neugier wählte ich die Nummer, sobald ich nach Hause gekommen war. Er lud mich zu sich ein.
Arnaud wohnte in der Nähe von Les Halles, in einem Gebäude, das von außen schäbig aussah. Aber das Treppenhaus war sauber, auf den Steinstufen lag ein roter Teppich, die Gänge entpuppten sich als geräumig und vornehm. Arnaud öffnete die Tür, wir tauschten vier Küsse aus. Normalerweise wurde dieser Gruß nur angedeutet, Arnaud aber klatschte mir vier laute Schmatzer auf die Wangen und kam mit dem letzten meinem Mund gefährlich nahe.
Ich wurde in eine typische, gutbürgerliche Pariser Wohnung mit langen Fluren, hohen Zimmern, weißen Decken mit Stuckverzierung und Doppeltüren aus Holz geführt. Im Wohnzimmer stellte mich Arnaud zwei anderen Männern vor. Die erste, eine vierzigjähriger Glatzkopf mit extrem weißer Haut, wurde als »Fabien, un ami« präsentiert. Der andere, auch in den Vierzigern, mit einem grauen Bart und kurzen, grauen Haare, war »Jean-Louis, mon ami«, so Arnaud.
Mir fiel der Unterschied zwischen Fabien, »einem« Freund, und Jean-Louis, »meinem« Freund, sofort auf.
Ich setzte mich auf ein Plüschsofa, nahm dankbar ein Glas Kir an und antwortete freundlich auf die Fragen, wo ich herkomme, was ich in Paris mache, was ich zuvor getan habe. Wir unterhielten uns auf diese Weise etwa eine halbe Stunde lang, bevor Fabien uns verlassen musste. Jean-Louis meinte, wir sollen ohne ihn weitermachen. Sein Rücken schmerze, sagte er, und er werde sich hinzulegen.
Arnaud führte mich in die Küche und bot mir noch Glas an. Dann kam er näher und näher gekrochen, versuchte mich zu küssen, berührte meinen Körper überall dort, wo er seine Hände hinlegen konnte, bevor ich sie abwehrte. Er trug bloß flauschige Flanell-Shorts, und so konnte ich nicht umhin, seinen Steifen zu bemerken. Seltsam, aber das törnte mich ab. Der Freund dieses Kerls döste im Nebenzimmer, und Arnaud wagte es, mich anzumachen!
Sobald ich mein Glas ausgetrunken hatte – ein Aperitif darf nie vergeudet werden! –, verabschiedete ich mich höflich und stahl mich aus der Wohnung. Und fragte mich, nun schon ein wenig sauer, ob ich ein Lebensabo für Begegnungen mit eigentümlichen Jungs habe. Ich hatte gerade eine wesentliche Lektion gelernt: Schwule, ob in Wien oder Paris, waren überall gleich.
Sandra
Sandra war klein und zerbrechlich und hatte rötliches, wuscheliges Haar. Sie stand auf natürliche Essenzen, Öle und Pulver und dschungelroten Lippenstift. Sie trug immer seltsame, pseudoindische Sachen mit verrückten Blumenaufdrucken: Kaftane oder weite Hosen, Jacken mit Mao-Kragen, Schals und Tücher. Sandra sprach leise und zart, war immer zu allen ganz nett, immer bereit, das Beste glauben. Die Gemeinheiten dieser Welt perlten an ihr ab; sie weigerte sich, ihre hässlichen, bösen, kranken Seiten zu sehen. Als ob sie in ihrer Jugend einen starken Joint geraucht hätte und von diesem Himmels-High nie wieder heruntergekommen wäre.
Immer knapp bei Kasse, hatte sie es dennoch geschafft, sich Tanzstunden zu finanzieren. Irgendwas Balinesisches oder Javanesisches. Eines Tages gab es eine öffentliche Aufführung. Sie bat Mikki und mich, hinzukommen. Da wir Sandra sehr gerne hatten, sagten wir Ja. Wir brachten drei andere Kollegen mit, weil wir uns dachten, dass Sandra mehr freundliches Publikum brauchen könnte.
Zu unserem Erstaunen fand die Aufführung in einem großen Saal statt, der gut gefüllt war. Wir fanden Sitze in der zweiten Reihe und nahmen Platz. Zunächst stellte die Tanzlehrerin, eine winzige, hübsche Asiatin, ihre Schülerinnen vor. Wir winkten Sandra zu, die nervös wirkte und dennoch strahlte. Zehn andere Frauen standen unbeholfen um die Lehrerin herum; sie sahen alle wie Archetypen der gelangweilten Wiener Hausfrau mittleren Alters aus, die
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