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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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und schon wieder sammeln sich Tränen hinter meinen Augenlidern. Simon öffnet meinen Bademantel und zieht mich unter die Decke. Wie in unserer ersten Nacht küsst er mir die Tränen weg. Lillis Schlummerlicht leuchtet. In seinem matten Licht lieben wir uns mit einer zwischen uns noch nie erlebten Intensität und in aller Stille. Es ist, als ob wir mit unseren Berührungen und Bewegungen versuchen, das Bollwerk aus Kummer und bitterem Schmerz in uns zu sprengen. Der Tod hat uns so viel genommen. Aber wir halten uns gegenseitig und halten das Leben fest – verzweifelt und erfüllt von der irrsinnigen Hoffnung, die Dunkelheit besiegen zu können. Erst als das milchige Morgengrauen die Schwärze der Nacht durchdringt, schlafen wir ein.

17. Kapitel
Jeder Mensch sucht
nach dem Frieden seiner Seele
jeder Mensch weiß
Wovon ich hier erzähle.
Bernd Begemann: »Unten am Hafen«
    A m nächsten Morgen rufe ich Herrn Scherz beim Jugendamt an. »Sehen Sie eine Chance, dass ich Lisa-Marie behalten darf?«, falle ich mit der Tür ins Haus, sobald er sich gemeldet hat.
    Er zögert für einen Moment. Dann sagt er: »Haben Sie sich das auch gut überlegt?«
    »Ja.«
    Herr Scherz räuspert sich. »Lassen Sie uns darüber doch einmal in Ruhe sprechen. Wann passt es Ihnen denn?«
    Es stellt sich heraus, dass es weniger darum geht, wann es mir passt, als darum, wann er einen freien Termin hat.
    Wir einigen uns schließlich auf den 7. Dezember.
    »Das ist gar nicht gut gelaufen. Der Scherz war so abweisend!«, jammere ich Tina vor. Sie sieht das völlig anders. »Das Jugendamt lässt Lisa-Marie doch erst einmal hier, und je länger sie bleibt, desto besser. Oder? Nun warte doch mal ab.«
    »Und das sagst du nicht nur, weil du eigentlich findest, dass ich das mit zwei Kindern nicht schaffe?«
    Tina zeigt mir einen Vogel. »Sei froh, dass ich deine beste Freundin bin, sonst würde ich mich jetzt ernsthaft mit dir streiten. Du tust ja geradezu, als ob ich es darauf anlegen würde, die Kleine aus dem Haus zu schaffen!«
    Erschrocken besänftige ich sie, als ich bemerke, wie verletzt sie ist.
    Andreas, der während seines Nachtdienstes anruft, sieht die Haltung von Scherz ähnlich wie Tina. »Mach dir erst einmal keine Sorgen. Soviel ich weiß, steht bei Entscheidungen des Jugendamts immer das Wohl des Kindes im Fokus. Und dass sie Lisa-Marie erst einmal bei dir und in ihrer vertrauten Umgebung lassen, ist bestimmt ein gutes Zeichen.« Und dann fügt er noch hinzu: »Ich finde es jedenfalls großartig, dass du sie behalten möchtest.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Erstens wächst Amélie dann nicht als verwöhntes Einzelkind auf und wir, also du und ich …« Er gerät etwas ins Stottern. Trotz meiner Anspannung muss ich lächeln. Es geschieht nicht häufig, dass Andreas um Worte ringt. Aber dann beendet er tapfer seinen Satz. »Also, wir hätten doch gern Kinder gehabt.«
    »Aber nicht um diesen Preis.«
    »Natürlich nicht um diesen Preis!« Andreas wird ärgerlich. Irgendwie habe ich ein Talent, mit diesem Thema andere vor den Kopf zu stoßen. »Das ist doch wohl selbstverständlich. Aber wenn es nun einmal so ist?«, bescheidet er mir. Und dann sagt er fast wütend: »Ich will ja nur sagen, dass ich dich unterstützen werde, soweit ich das von Aabenraa aus kann.«
    Dann legt er auf, weil ein Notfall eingeliefert worden ist. Ich sitze auf dem Sofa mit dem Telefonhörer in der Hand und starre in das Dunkel vor meinem Fenster. Was soll ich nur tun, wenn sie uns Lisa-Marie wegnehmen? Lilli, was soll ich nur tun?

    »Ob das Jugendamt mir Lisa-Marie überlässt? Ob ich sie adoptieren kann? Und wenn nicht, ob ich es zulassen muss, dass man sie mir wegnimmt?« Diese Fragen stelle ich Pastor Brenner, als ich ihn beim Einkaufen in der Osterstraße treffe.
    Statt sofort zu antworten, fragt er: »Wollen wir ein Stück gehen?«
    Papa und die Unvermeidlichen sind bei den Kindern, also nicke ich. Wir gehen am »Lál Pera« vorbei und meiden wie auf eine geheime Verabredung hin den Unfallort, als wir den Weg Richtung Kaiser-Friedrich-Ufer einschlagen.
    Ich berichte Brenner von Lillis Worten und der bevorstehenden Besprechung mit Herrn Scherz. Wir schlendern die winterlich kahlen Wege am Ufer des Kanals entlang. Brenner hört zu, fragt nach, überlegt. Schließlich sagt er: »Wie stellen Sie sich die Zukunft in den nächsten Jahren vor? Ganz konkret, meine ich.«
    Ich runzele die Stirn. »Eigentlich wie jetzt. Die Miete ist gesichert, ich bin zurzeit im

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