Kleine Schiffe
den ersten Schritt zu tun.
Einmal steht Oliver vor der Tür und verzehrt dann große Mengen Zimtsterne, ein anderes Mal folgen Astrid, Marianne und Eric aus dem Gospelchor meiner Einladung. An diesem Sonntag wird viel gesungen, und die Mädchen tanzen, indem sie auf ihren kurzen Beinchen hin und her wippen.
Auch die Weihnachtsplanung nimmt nun konkrete Formen an. Rudi und Helmut bleiben bei ihrem Vorhaben, die Freundin im Altersheim zu besuchen, und Papa hat sich bei mir eingeladen. Weil er aber am Tag vorher für den Seniorenmittagstisch der Kirchengemeinde kocht, überlässt er mir die Zusammensetzung des kulinarischen Angebots am 24. Dezember. »Mach etwas ohne großen Aufwand, ich bin mit allem zufrieden«, ist seine Ansage. »Diesmal bist du der Küchenchef!«
Ich besorge eine kleine Gans, einen Kopf Rotkohl und eine Packung Instant-Semmelknödel und freue mich auf einen ruhigen Abend mit Papa und den Kindern.
Doch als Papa bereits am Heiligabend statt wie besprochen um neunzehn Uhr schon um drei Uhr am Nachmittag mitten in die Zubereitung der Gansfüllung platzt, beschleicht mich ein ungutes Gefühl.
»Du könntest noch getrocknete Aprikosen hinzufügen«, beginnt er seine Belehrungen. Ich versteife mich innerlich. Ich hasse es, wenn man mir in das, was ich gerade tue, hineinredet. Außerdem lebt er in bester Chefkoch-Manier seine Autorität aus: Die Beigabe von Aprikosen ist kein freundlicher Vorschlag, sondern eine Ansage. Im Grunde meint Papa: »Wenn du keine getrockneten Aprikosen für die Füllung verwendest, wird sie nicht einmal halb so gut schmecken, wie du dir erträumt hast, du blutige Anfängerin.«
Doch in meine leicht köchelnde Wut dringt aus dem Wohnzimmer Mahalias Stimme, die Kinder knuspern plappernd an Spekulatius-Plätzchen, und die Gans sieht so bedauernswert gerupft, nackt und bloß aus, dass ich es nicht übers Herz bringe, mit Papa zu streiten. Es ist schließlich Weihnachten! Also schlucke ich meinen Stolz hinunter und werfe ein paar getrocknete Aprikosen in die Füllung aus Brot, Schinkenspeck, gebratener Gänseleber, Zwiebeln und Rosinen.
»Hast du an Majoran gedacht?«
Das habe ich zwar nicht, doch der findet sich glücklicherweise in meinem Gewürzregal. So weit, so gut. Nur bei Papas Forderung nach Beifuß muss ich passen.
Er ist entsetzt. »Kein getrockneter Beifuß? Na, ob das schmecken wird?« Er taxiert die Gans, als erwarte er von dem toten Tier eine Antwort.
Mit zusammengebissenen Zähnen arbeite ich weiter – ich bin mir seiner kritischen Augen durchaus bewusst. Schweißgebadet fülle ich die Gans und suche dann nach einem Faden, mit dem ich sie zusammennähen kann.
»Das könntest du sehr viel leichter mit Zahnstochern machen. Einfach locker zusammenstecken«, meldet sich Oberkoch Papa wieder.
»Wolltest du nicht erst um sieben kommen?«
Papa guckt erstaunt auf die Uhr. »Jetzt ist es gleich vier. Ich dachte, dass du dich freust, wenn ich früher da bin.«
Da es keine Zahnstocher gibt, muss sich Papa mit meinem Kreuzstich abfinden. »Wirst sehen, das geht auch«, tröstet er mich scheinheilig und zieht sein T-Shirt herunter. »Hoffentlich wird deine Soße nicht zu fett. Ich muss auf mein Gewicht achten.«
»Ausgerechnet an Weihnachten?«
Papa nickt bedächtig. »Seitdem ich nicht mehr so dicke Pullis trage, kommt meine Figur viel mehr zur Geltung.«
»Deine Figur?« Mir fällt beinahe der Soßentopf aus der Hand.
Papa pfeift durch die Zähne. »Ja, die Figur. Ich bin schließlich erst sechsundsiebzig! Da kann man immer noch auf sich achten.« Er zieht das T-Shirt noch einmal straff. »Sagt jedenfalls Hedi.«
»Ist es was Ernstes mit euch?«
Unvermittelt hüllt sich Papa in Schweigen. Er zuckt mit den Achseln, murmelt etwas von »einer guten Freundin« und »Wirst du auch noch besser kennenlernen«. Zwischen klapperndem Geschirr durchsucht er die Speisekammer. »Vielleicht hast du ja doch irgendwo Beifuß!«
Papa auf Freiersfüßen? Und Tina fühlt sich alt!
Endlich schmort der Vogel im Ofen, und ich mache mich mit deutlich gedämpftem Enthusiasmus an die Zubereitung des Rotkohls. Diesmal hat Papa nichts zu meckern, obwohl er den Rotwein »nicht süffig genug« findet und von meiner Bemerkung, dass der doch sowieso verdunste, nichts wissen will. Dass ich vergessen habe, Gummihandschuhe zu kaufen, weswegen meine Finger nach dem Rotkohlreiben aussehen, als hätte ich mindestens ein Schwein mit bloßen Händen ausgenommen, quittiert er nur mit einem
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