Kleine Schiffe
nie!«, ätzt Papa.
Trotzdem scheint das Essen die gereizten Gemüter zu beruhigen.
Doch dann bricht Papa einen Streit vom Zaun. Er streift Andreas, der zusammengekauert am Küchentisch hockt und mit beiden Händen zusammengeknülltes Toilettenpapier umklammert, mit einem strafenden Blick und raunzt: »Hol dir gefälligst eine Plastiktüte für deine Rotzfahnen. Ich will mich nicht anstecken.«
Andreas quält sich hoch und schlurft hüstelnd, schniefend und leise meckernd Richtung Speisekammer. Während ich die Reste abräume und die Spülmaschine bestücke, verfransen sich Papa und Andreas in einer unerquicklichen Diskussion darüber, ob man im Winter schneller Erkältungen bekommt und – wenn ja – woran das liegen könnte. Während Andreas damit argumentiert, dass Erkältungen durch Viren ausgelöst werden und mit dem Wetter wenig zu tun haben, führt Papa seine Lebenserfahrung ins Feld. »Im Winter wird man leichter kalt – daher doch auch der Begriff Erkältung. Ich kann mich noch an den harten Winter 48/49 erinnern. Erzähl mir nichts!«
Nachdem ich den fettigen Gänsebräter sauber geschrubbt habe, sammle ich das Geschenkpapier zusammen und versuche meine Enttäuschung zu unterdrücken. So habe ich mir dieses Weihnachtsfest mit den Kindern nicht vorgestellt: Ich mache Küchendienst, räume auf, bringe die Mädchen zu Bett – und Papa und Andreas giften sich an.
Andreas unterbricht seinen Disput kurz und fragt in meine Richtung: »Kannst du mal Wasser zum Inhalieren aufsetzen? Ich brauche auch noch ein Handtuch und eine Schüssel.«
Bevor ich dem Impuls nachgebe, ihm das Wasser ins Gesicht zu kippen, wie er es verdient hätte, greife ich nach der Mülltüte und stürme wortlos aus der Tür. Im Rausgehen höre ich Papas keckernde Stimme: »Das soll wohl heißen: Mach dir dein Wasser selbst heiß, oder?« Wenigstens er scheint sich an diesem Abend prächtig zu amüsieren.
Bei den Müllcontainern reiße ich die erstbeste Klappe auf, stopfe die Mülltüte hinein und lasse den Deckel krachend zufallen. In diesem Moment werde ich von hinten umarmt, und eine heisere Stimme raunt in mein Ohr: »Überraschung!«
Ich fahre herum, knalle mit dem Kinn gegen den Hals einer Magnum-Champagnerflasche und spüre dann Simons warme Lippen auf meinen. »Bist du wahnsinnig?«, wehre ich mich. Mein Herz rast – allerdings vor Schreck, denn im dunklen Hof habe ich niemanden erwartet, am allerwenigsten Simon. Und so frage ich zum zweiten Mal an diesem Abend: »Was machst du denn in Hamburg?«
Simon hat offenbar einen anderen Empfang erwartet. »Hast du meine Postkarte nicht bekommen?«, fragt er gekränkt.
Ich erinnere mich. »Doch, natürlich, die mit dem Flugzeug drauf? Das ist doch schon Monate her!«
»Das war ein A 319,« stellt Simon richtig. »Hast du sie nicht gelesen?«
Simon stellt die Champagnerflasche auf den Boden und wirbelt mich herum. »Ich hab doch vom Wiedersehen mit meinem alten Leben geschrieben!« Er legt seine Hände auf meine Hüften und zieht mich an sich. »Verstehst du denn nicht, was ich gemeint habe?« Seine Stimme wird leiser, und obwohl ich mich stocksteif halte, zieht er mich noch enger an sich heran. »Ich habe Champagner mitgebracht. Also lass uns da weitermachen, wo wir Ostern aufgehört haben …« Er vergräbt seine Lippen in meinen Haaren. »Ich dachte mir schon, dass es bei meinem Eltern total öde werden würde. Und jetzt bin ich hier!«
Mir ist mittlerweile so kalt, dass meine Zähne klappern. Ich bringe kein Wort heraus. Simon legt den Arm um meine Schultern, greift nach der Flasche und geleitet mich fürsorglich ins Haus. »Du musst erst mal wieder warm werden, meine Süße«, flüstert er mir ins Ohr und schlingt seine Arme wie Tentakel um mich.
In der Wärme des Hausflurs komme ich langsam wieder zu mir. »Simon, das geht nicht!«, sage ich entschieden, mache mich los und fliehe in die Küche.
»Franzi, Süße! Lass uns doch erst einmal reden!«, ruft er mir nach. »Ich mach jetzt den Schampus auf, und dann setzen wir uns gemütlich vor den Kamin!« Mit diesen Worten betritt er hinter mir den Raum und prallt zurück, als er Papa und Andreas am Küchentisch sitzen sieht. Vor Andreas steht eine Schüssel, aus der heißer Wasserdampf aufsteigt, und er hat ein Handtuch über den Schultern.
Papa grinst hinterhältig. »Hallo, Simon – da freue ich mich aber! Ich wollte schon immer mal gemütlich mit dir vor dem Kaminfeuer sitzen.« Zu Andreas gewandt spöttelt er: »Schade,
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