Kleine Schiffe
auf sich zu lenken. Wenn mir nicht so schlecht wäre, würde ich das sogar unterhaltsam finden. Es ist immer dasselbe mit Tina: Wenn sie nicht im Mittelpunkt steht, ändert sie das umgehend.
Doch jetzt präsentieren sich Jonas und Suse, ein stilles Lehrer-Ehepaar, das von seinen Kindern mit dem Kochkurs überrascht wurde. »Österreich, weil Suse am liebsten die alten Sissi-Schinken im Fernsehen sieht«, verrät Jonas und legt seinen Arm um Suses Schulter. Die beiden sind zwar nicht gerade ein attraktives Paar, aber die vertraute Geste löst in meinem Herzen kurzfristig ein neiderfülltes Ziehen aus. Andreas hat mich auch immer mit solcher Selbstverständlichkeit berührt. Obwohl mir mittlerweile wirklich gar nicht mehr gut ist, bemerke ich mit einer gewissen Genugtuung, dass sowohl Tina als auch Heidrun und Angelika ebenfalls bei Jonas’ zärtlicher Geste zusammengezuckt sind. Ich muss wirklich sehr an PMS leiden, denn anstatt in frisch geschiedener Melancholie zu versinken, zische ich Tina schadenfroh zu: »Grandiose Idee, in einem Kurs Männer kennenzulernen, die sich ihre Frauen selbst mitbringen.«
Tina sieht mich entsetzt an. »Findest du diesen Jonas etwa interessant?«
Ich schaue ihn mir genauer an, die Halbglatze, die lustigen blauen Augen und das kleine Bäuchlein über dem Gürtel, und kann guten Gewissens den Kopf schütteln. »Ich meinte das nur prinzipiell. Uns bleibt ja immerhin noch Bernhard.«
Tina spitzt den Mund. »Und Stefan.«
Aber das stimmt nicht. Stefan ist gerade dabei, die Schürzen zu verteilen, als die Tür aufspringt und zwei Männer – einer mit raspelkurzen blonden Haaren, der andere mit schwarzen Locken, Mitte dreißig, breitschultrig und groß – mit prall gefüllten Sporttaschen und viel Gelächter in den Raum platzen. »Sorry, wir sind zu spät! Aber wir mussten noch in die Verlängerung gehen.« Sie verbreiten einen Duft von Frische, Duschgel und Rasierwasser.
Stefan blickt erst hoch, dann auf sein Klemmbrett. »Daniel und Matthias?«
Die beiden nicken. Der Blonde zeigt auf sich. »Ich bin Daniel.« Der Dunkelhaarige ergänzt: »Und ich Matthias.«
Es stellt sich heraus, dass Daniel und Matthias in derselben Freizeitfußballmannschaft spielen, beide im IT-Bereich arbeiten und gehört haben, dass österreichische Küche derzeit »total angesagt« ist. Mit den beiden kommt Schwung in den Kurs. Angelika und Heidrun ziehen sich die Blusen glatt. Sie tauschen erst verschwörerische Blicke miteinander, dann werfen sie kecke Blicke in Richtung des Kicker-Duos.
Tina wischt ein nicht vorhandenes Stäubchen von ihrer immer noch blütenreinen weißen Bluse und sorgt dafür, dass die beiden stimmungsmäßig aufholen können. »Stefan, wo bekommen unsere Sportler ein Glas für den Aperitif? Und wollen wir nicht langsam loslegen und beispielsweise besprechen, wer mit wem was macht?« Dabei lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie entweder mit Matthias oder Daniel im Team backen will.
Jetzt verstehe ich auch, was sie so sinnlich an der österreichischen Küche findet: Knödelkneten. Na, bravo. Dass ich in ihren Überlegungen keine Rolle spiele, finde ich nicht problematisch. Vielleicht liegt es wirklich am Alkohol, aber das kodderige Gefühl scheint sich eher zu verstärken als abzuflauen. »Kann einem auch vor dem Essen schon schlecht werden?«, frage ich Tina leise. »Ich habe noch gar nichts gegessen, aber …«
Tina wirft mir einen besorgten Blick zu. »Vielleicht ist dir der Sekt auf nüchternen Magen nicht bekommen? Du bist so blass. Willst du an die frische Luft?«
Doch ich werde einer Antwort enthoben, denn Stefan treibt uns alle die Wendeltreppe hoch in die Küche. Als Erstes verarbeitet er, assistiert von Tina, neidisch beäugt von Heidrun und Angelika, Mehl, Salz, Öl und lauwarmes Wasser zu einem glatten, elastischen Teig. Tina darf den Teig zu einer Kugel formen und mit Butter bestreichen. Sie macht das so gekonnt, dass Daniel und Matthias sie mit halb geöffneten Mündern anstarren und Bernhard spontan sein Jackett ablegt. Mit einem scharfen Messer schneidet Stefan ein Kreuz in den Teig und verpackt den Superklops in Folie. »Der hat jetzt zwei Stunden Zeit, um in sich zu gehen«, scherzt er. »Und nun zur Vorspeise.«
Noch gelingt es mir, mich zusammenzureißen. Aber als wir uns alle um die sogenannten »Posten« verteilen sollen und Stefan sagt: »Für die Zubereitung der Tiroler Speckknödel wird eine Kloßmasse mit Speck vermengt«, spüre ich bei dem Wort
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