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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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»Kloßmasse« erst einen scharfen metallischen Geschmack auf der Zunge und dann jede Menge bittere Spucke im Mund, die sich einfach nicht mehr wegschlucken lässt.
    »Entschuldigung!« Ich bin froh, dass ich mir gemerkt habe, wo die Toilette ist. Ich rase die Treppe hinunter, erreiche in letzter Sekunde die rettende Tür und übergebe mich, wie ich mich noch nie übergeben habe.
    Endlich ist es vorbei, und während ich mir erschöpft das Gesicht mit kaltem Wasser abwasche, zermartere ich mir das Gehirn, wo ich mir eine Magen-Darm-Grippe zugezogen haben könnte. In der Praxis werden wir ständig mit Keimen konfrontiert, aber im Laufe der Zeit bin ich gegen vieles immun geworden. Außerdem werden wir geimpft und waschen uns andauernd die Hände. Erstaunlicherweise geht es mir bald wieder gut. Ein Blick in den Spiegel überzeugt mich, dass mein Pickel nicht mehr als ein roter Punkt ist, und ein bisschen Farbe habe ich auch wieder auf den Wangen.
    Einigermaßen gefasst steige ich in die Küche hinauf. Hier ist man inzwischen beim Hauptgericht angelangt. Tina kabbelt sich mit Daniel und Matthias am großen Topf, in den das Fleisch für den Tafelspitz versenkt werden soll. Niemand würdigt mich eines Blickes, Bernhard hat sich Angelika und Heidrun angeschlossen und diskutiert die Frische von Meerrettich – dem österreichischen »Kren«. Nur Suse, die mit Jonas Gemüse putzt, wirft mir einen nachdenklichen Blick zu. Vielleicht macht sie sich Sorgen, dass ihr Jonas von der flirtigen Stimmung angesteckt wird, die Tina und die Sportler verbreiten. Befürchtet sie, dass er dadurch in Heidruns oder meine Arme getrieben wird? Es sind schließlich vier anhanglose Frauen im Kurs.
    Doch Jonas interessiert sich mehr für den Liebstöckel auf dem Brett vor sich als für mich. Ich werde flugs zum Schnittlauchschneiden für die Soße eingeteilt. Dabei erklärt mir Stefan, dass Einfachheit beim Kochen das A und O sei: »Einfach und ein bisschen Pfiff!« Nebenbei nennt er mir noch das Rezept für seinen Lieblingsgurkensalat, der zu allem passt: »Rote Zwiebeln klein hacken, Gurkenscheiben dazu, Salz, Zucker, durchziehen lassen. Später viel Dill und einen tüchtigen Klacks Crème fraîche zur Abrundung.«
    Beim »tüchtigen Klacks Crème fraîche« wird mir wieder ein bisschen schwindelig, aber es gelingt mir, die Übelkeit mit einem großen Glas Wasser zu bekämpfen.
    Alle sind bester Laune, reden durcheinander und löchern Stefan mit Fragen. Was er von seinem Arbeitsalltag erzählt, ist mir als Tochter eines Kochs nicht neu. Doch ich spüre zum ersten Mal so etwas wie Mitgefühl und Interesse für diesen Beruf. Fast beginne ich, meinem Vater Abbitte zu leisten. Habe ich ihn jemals nach seinen Träumen gefragt? Danach, warum er Koch werden wollte? Während ich Stefan zuhöre, wie er mit leuchtenden Augen von gelungenen Menüs spricht, wie er die Namen exotischer Gewürze über seine Zunge rollen lässt, als wären es die Namen seiner Geliebten, begreife ich, dass Papas Satz von der Stressresistenz eines Kochs nur die halbe Wahrheit war. Wer Koch wird, ist vor allem eins: leidenschaftlich von dem Wunsch getrieben, das Glück zu finden – in der perfekten Kombination von Zutaten, in einem speziellen Geschmack. Nicht nur für sich, sondern stets auch für andere, mit denen er dieses Glück teilen will. An einem großen Tisch.
    Meine Stimmung hebt sich durch diese Erkenntnis. Tinas Laune dagegen hat einen spürbaren Dämpfer bekommen. Sie zieht sich so weit wie möglich von Daniel und Matthias zurück und quetscht sich mit Gewalt zwischen Suse und mich.
    »Was ist denn los?«, flüstere ich und schiebe ihr die Suppenterrine hin.
    Tina füllt sich großzügig von der leckeren Suppe auf den Teller. »Gar nichts ist los, das ist ja das Problem«, flüstert sie zurück.
    »Und wieso nicht?«
    Tina verdreht die Augen. »Na, weil die keine Verwendung für Frauen haben!«
    Ich betrachte die beiden, die der Suppe mit großem Appetit zusprechen. »Wieso? Sind beide in festen Händen?«
    Tina fasst sich an den Kopf. »Du sagst es. Aber gegenseitig.«
    »Gegenseitig?« Bei mir fehlt ein Cent zum Euro. Ich sehe wieder zu den beiden hinüber, die jetzt mit Heidrun scherzen. Endlich begreife ich. »Du meinst …?«
    Tina nickt ergeben. »Ja, sie sind ein Paar. Stockschwul.«
    Ich verbeiße mir eine Bemerkung über Männer in Kochkursen. Ein Blick auf Tinas Miene verrät mir, dass diese ersten Widerstände ihren Jagdtrieb eher beflügeln. Es kommen ja

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