Kleine Schiffe
noch zwei Beutetiere in Frage: Bernhard und Koch Stefan selbst.
Während der weiteren Vorbereitung des Hauptgangs robbt sich Tina beharrlich an Bernhard heran. Als ich vom Abwaschbecken hochblicke, sehe ich, dass sie ihm einen Apfel so kokett hinhält wie Eva ihrem Adam. Diesmal führt die Geste nicht zur Vertreibung aus dem Paradies – jedenfalls nicht sofort. Bernhard lächelt glückselig, greift nach der reifen Frucht und beginnt sie zu schälen. Als er sie Tina zur Weiterverarbeitung reicht, scheint er ihr mindestens einen Fünf-Karäter zu übergeben. Zu meiner Überraschung schneidet sie den Apfel jedoch hastig in Scheiben und wirft ihn in eine Schale mit Semmelmehl, Zucker, überbrühten Rosinen, Mandeln, Vanillezucker und Zimt. Dann kehrt sie Bernhard den Rücken zu. Ich folge seinem waidwunden Blick und verstehe sofort, was Tinas Interesse gefesselt hat: Stefan und der Teigklops. Sie versenkt ihre Finger dicht an dicht mit Stefans Händen im Strudelteig, der jetzt »genau richtig« ist, wie unser Maestro verkündet.
Nach dem beharrlichen Kneten bekommt jeder von uns einen Klumpen Teig ausgehändigt. Stefan hatte recht mit sei-ner Beschreibung: Der Teig fühlt sich wirklich einzigartig gut an. Samtig weich und von einer Konsistenz wie zarte, glatte Haut. Suse und Jonas, offenbar die Einzigen mit Kindererfahrung, strahlen erst einander, dann quer durch den Raum alle anderen an. »Es stimmt, Stefan: So fühlen sich Babypopos an!«
Wir rollen den Strudelteig so vorsichtig wie möglich aus.
»Ihr müsst die flachen Hände unter die Teigplatte schieben und den Teig gleichmäßig über den Handrücken immer dünner ausziehen«, empfiehlt Stefan seiner schwitzenden Crew. »Der Teig ist richtig, wenn ihr die Zeitung – oder sagen wir: einen Liebesbrief – durch ihn lesen könntet.« Dabei lächelt er unverfroren Tina an, die glasige Augen bekommt.
Damit ist wohl besiegelt, wen Tina heute Abend abschleppen wird, denke ich und genieße das Gefühl des Teiges an meinen Händen. Ich beobachte Suse, die mit ruhiger Hand den Strudelteig pergamentpapierdünn zieht und sich von ihrem Umfeld nicht ablenken lässt. Ich kann mir vorstellen, dass sie eine gute Mutter ist. Und offenbar wird sie auch geliebt. Schließlich schenkt man doch Eltern, die man hasst, keinen Kochkurs, oder? »Kommt auf die Eltern und deren Kochkünste an«, würde Tina jetzt vielleicht sagen.
Aber die kann im Moment gar nichts sagen. Denn auch der gute Bernhard ist ein Jäger und Sammler – er lässt sich seinen Schneid nicht so schnell von einem Kerl mit Kochmütze abkaufen. Im Gegenteil: Jetzt läuft er zu großer Form auf, lässt sich von Tina helfen, nutzt jede Möglichkeit, sie zu berühren, indem er vorgibt, ein Stück Teig von ihrer Bluse schnippen oder ihr den Mehlstaub von der Hose klopfen zu wollen. Tina fühlt sich geschmeichelt und lässt sich das gefallen. Als beide aus dem begehbaren Kühlschrank wieder auftauchen und die vorbereitete Vanillesauce mitbringen, ist nicht zu übersehen, dass sie geknutscht haben.
Endlich sind alle Teller gefüllt, der Tisch gedeckt und die Schürzen abgenommen. Wir sitzen im unteren Restaurantbereich, der Wein schimmert in den Gläsern, alle außer mir sind fröhlich, rotwangig und stolz. Stefan hält eine kleine launige Rede, lobt seine Küchenmannschaft und wünscht dann einen guten Appetit. Die Gläser werden erhoben, alle prosten Stefan zu. Daniel und Matthias stoßen an, blicken einander tief in die Augen und versinken dann in einem leidenschaftlichen Kuss. Was Stefan mit einem augenzwinkernden »Das ist der Romantik-Teil beim Romantik-Austria-Dinner!« kommentiert. Jonas lacht und gibt Suse gut gelaunt einen knallenden Kuss auf den Mund, woraufhin sie mit feuerrotem Kopf beginnt, an ihrem Stück Tafelspitz zu schneiden. Aber es freut sie doch – das ist an ihrem Lächeln zu sehen.
Heidrun, Angelika und ich widmen uns betont aufmerksam dem Essen, während Tina in der Hüftgegend offenbar mit Bernhard zusammengewachsen ist. Er spießt ein Stück Tafelspitz auf und will ihr gerade die Gabel in den Mund schieben, als sein Handy klingelt. Die Gabel weiter neckisch vor Tinas Mund balancierend, fummelt er das Telefon aus seiner Hosentasche. »Ja?« Abrupt sinkt die Gabel auf den Teller.
Tina schnappt wie ein Karpfen auf dem Trockenen.
Bernhard steht hastig auf. »Aber, Schatz, reg dich nicht auf! Hast du ihm die Tropfen gegen Blähungen schon gegeben? Warte einen Moment …« Seine Worte
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