Kleine Schiffe
verklingen, als er zum Telefonieren auf die Straße geht.
Tina sieht mich entsetzt an. Und ich? Ich spüre wieder diesen fiesen metallischen Geschmack auf der Zunge und fliehe schnellstmöglich auf die Toilette. Und wenn ich zuvor gedacht habe, ich hätte mich in meinem Leben noch nie derartig übergeben, so kann ich das von dieser Brech-Arie auch wieder behaupten. Ich habe das Gefühl, mein Innerstes auszukotzen. Weil alles so schnell ging, habe ich nicht einmal die Tür der Kabine verschlossen. Ich knie vor der Schüssel, während Brechkrämpfe meinen Körper schütteln. Zwischen dem Würgen schnappe ich nach Luft und finde sogar Kraft genug, mich daran zu freuen, dass das »Nil« eine so gepflegte Toilette hat. Der Boden ist derart sauber, dass wir unseren Strudel davon essen könnten, schießt mir durch den Kopf. Dann spucke ich schon wieder, weil das Wort Strudel eine ungeheure Eruption in mir auslöst.
Während ich keuchend über der Schüssel hänge, fühle ich unerwartet einen kühlen Lappen auf meiner Stirn.
Ich drehe mich um und bemerke Suse hinter mir. Sie lächelt mich an und legt ihre Hände auf meine Schultern. »Besser?«
Ich zucke mit den Achseln, lasse mir aber bereitwillig von ihr aufhelfen. Sie dreht den Kaltwasserhahn auf und befiehlt kurz und sachlich: »Gesicht waschen und dann das kalte Wasser auf die Unterarme laufen lassen.« Jetzt weiß ich also, wie Suse als Mutter ist: ruhig, souverän und absolut vertrauenerweckend. Wenn diese Mutter sagt: »Das wird schon wieder!« – dann wird es das auch.
Die Tür geht auf. Stefan erscheint. In der Damentoilette? Mit einer raschen Handbewegung wischt er meine Verlegenheit weg. Er reicht mir ein Glas Wasser mit einem Schnitz Zitrone darin. »Du hast bestimmt einen völlig ausgetrockneten Mund, oder?« Stefan und Suse tauschen einen amüsierten Blick, der mir verrät, dass sie mehr wissen als ich.
»Was ist?«, frage ich, leere das Glas in einem Zug und reiche es Stefan zurück.
Er strahlt mich wieder mit diesem Lächeln an, das mich am Anfang des Abends ganz wackelig in den Knien werden ließ. »Na, hör mal, Franziska! Dass deine Übelkeit nichts mit unserem Kochkurs zu tun hat, weißt du doch wohl auch, oder?«
»Natürlich nicht«, beeile ich mich zu sagen. »Das ist bestimmt eine Magen-Darm-Grippe, die ich mir in der Praxis eingefangen habe.« Ich wende mich an Suse. »Ich bin Arzthelferin.«
Suse schüttelt den Kopf. »Hast du denn Durchfall?«
Das ist mir jetzt doch ein wenig zu intim – besonders, weil Stefan immer noch keine Anstalten macht, die Damentoilette zu verlassen. Aber da beide mich weiter mit geradezu unverschämtem Interesse angucken, antworte ich brav: »Nein, habe ich nicht, aber …«
Wieder tauschen Stefan und Suse einen vielsagenden Blick, ehe Stefan sagt: »Hör mal, Franzi – ich darf doch Franzi sagen?«
Ich nicke benommen.
»Ich bin vor zwei Wochen zum dritten Mal Vater geworden …«
Diesen Teil seines Satzes bekomme ich noch mit, weil ich denke: die arme Tina, zwei junge Väter an einem Abend. In einem Kochkurs, bei dem sie zeigen wollte, wie frei und unbeschwert das Leben ab vierzig wird. Was Stefan sonst noch sagt, geht in einem neuen Brechkrampf unter. Anschließend wische ich mir, geschwächt auf dem Klodeckel hockend, mit Suses Lappen das Gesicht ab.
Stefan nimmt meine andere klamme Hand. »Also, ich denke, du solltest morgen mal mit deinem Frauenarzt reden.«
Ich bin auf einmal wieder hellwach. »Ich soll mit meinem Frauenarzt reden?« Was für eine merkwürdige Situation: Da sitze ich mit einer Lehrerin und einem Koch auf der Damentoilette und lasse mich zum Gynäkologen überweisen!
Stefan nickt und drückt meine Hand. »Meine Frau sah nach ihren Kotzorgien auch immer so aus wie du: erschöpft, krank und gleichzeitig strahlend.«
Ich atme tief durch. Was soll das heißen?
In diesem Moment platzt Tina in unsere kleine Toilettenparty. Sie reißt die Tür mit Schwung auf und krakeelt: »Was läuft hier eigentlich? Händchenhalten auf dem Mädchenklo?« Ihr anzügliches Lächeln, das erst Suse, dann Stefan trifft, verglimmt, als sie mich Häufchen Elend auf dem Klodeckel hocken sieht. »Franzi, Süße, was ist denn los?«
Ich winke ab. »Mir geht’s gut, aber wie geht es dir? Wo ist Bernhard?«
Tina schneidet eine Grimasse. »Vergiss Bernhard. Eine weitere leere Hose an meiner Wäscheleine. Viel interessanter scheint der geschiedene große Bruder von Daniel zu sein. Der steht auf Frauen, sagt
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