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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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informativ, aber sie ersetzen nur halbwegs die echte Anteilnahme von Freunden oder verlässliche Informationen. Also lande ich wieder in der Buchhandlung und erwerbe nun doch ein Buch, das die Schwangerschaft »Woche für Woche« beschreibt. Es liegt auf meinem Nachttisch – jeden Abend lese, blättere und staune ich. Bereits in der zwölften Woche entwickeln sich die Finger des Embryos, so dass man sogar schon Fingernägel sieht! Die Fotos wirken auf mich wie Bilder von verzauberten Unterwasserwäldern. Ihre Farben und die Strukturen erinnern an Korallenbänke.
    Weniger angenehm ist, dass ich ständig pinkeln muss. Zunächst dachte ich, ich hätte eine Blasenentzündung. Was, wenn sich mein Körper hinter meinem Rücken innerlich bereits in Richtung Frührente verabschiedet hatte und nun ärgerlich auf meine Planänderung reagiert?
    Doch Dr.Fohringer, der sich über meine Entscheidung für das Kind am meisten gefreut hat, bescheinigt mir einen guten Gesundheitszustand und nimmt mir meine Sorgen. »Der Blasendruck legt sich bald. Und was ihre Ängste angeht: Heutzutage werden fast die Hälfte aller Kinder in Deutschland von Müttern geboren, die über dreißig sind.« Er wühlt auf seinem Schreibtisch und hebt triumphierend eine Fachzeitschrift hoch, schlägt sie auf, wendet suchend einige Seiten und zitiert dann: »Um die neunzehntausend Kinder werden von Frauen zwischen vierzig und vierundvierzig Jahren geboren.« Er zeigt auf meinen Bauch. »Du bist nicht allein! Das können Sie Ihrem Junior gleich mitteilen!« Dann deutet er in Richtung Untersuchungsstuhl. »Bitte, Frau Funk.«
    Beim Betrachten des ersten Ultraschallbildes gebe ich meinem Baby spontan den Arbeitstitel »Willy«, in Anlehnung an den Kinderfilm Free Willy , in dem ein kleiner Junge einen gefangenen Wal aus einem Vergnügungspark befreit. Der unscharfe Ausdruck sieht nämlich aus wie die verwackelte Aufnahme eines Wales beim Tauchen.
    Während Fohringer mich weiter untersucht, frage ich: »Interessiert Sie das Thema ›Späte Mutterschaft‹, oder ist es Zufall, dass Sie diesen Artikel zur Hand haben?«
    Dr.Fohringer räuspert sich verlegen. Ich könnte wetten, dass seine Halbglatze zart errötet. Er nickt und sagt schließlich: »Ich erlebe gewissermaßen gerade selbst so eine späte Schwangerschaft.«
    Als er meinen erstaunten Blick sieht, winkt er ab. »Nein, nicht so, wie Sie meinen! Das Thema Kinder ist für mich und meine Frau abgeschlossen. Aber ich versuche mich gerade in einem anderen Metier – und bin unter die Autoren gegangen.«
    »Sie schreiben?«
    Fohringer nickt mit unverhohlenem Stolz. »Ein Sachbuch. Das ist mein Baby. Für das erste Buch eine recht späte Geburt.« Er deutet beim Wort »Geburt« mit beiden Händen Anführungszeichen an. »Ich schreibe über …«
    »Späte Mütter?«
    Fohringer bejaht und zieht die Gummihandschuhe von den Fingern. »Sie können sich wieder anziehen.«
    Als ich im Stuhl ihm gegenüber Platz nehme, fährt er fort: »Die Schwangerschaft bei älteren Erstgebärenden ist in den letzten Jahren mein vordringliches Thema geworden. Viel mehr Frauen als jemals erwartet, werden heute spät schwanger und weisen dabei normale Blutzuckerwerte und einen normalen Blutdruck auf. Wie Sie. Es gibt eigentlich keinen Grund, in Ihrem Alter kein Kind mehr zu bekommen.« Er macht eine kleine Pause. »Jedenfalls keinen medizinischen.« Wir vereinbaren regelmäßige Termine, und dann händigt er mir ein kleines Heftchen aus. »Das ist Ihr Mutterpass, Frau Funk.«
    Das erste Mal wird das Wort »Mutter« mit meinem eigenen Namen gekoppelt. Ich komme mir sehr bedeutend vor.

    Die Schwangerschaft offenbart sich mir als großes Abenteuer. Das macht mir Angst. Als ob ich Couch-Kartoffel Hals über Kopf planen würde, den Mount Everest zu besteigen. Mit Flip-Flops und allein. Die medizinischen Fachtermini schrecken mich nicht, schließlich ist das mein tägliches Brot. Ich weiß, was ein Rötelntiter ist, kenne mich aus mit Hb-Werten und dem für andere so unübersichtlichen Abkürzungssalat: BPD, CTG, PDA. Aber die Vorstellung, die Geburt im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein durchzustehen, jagt mir jetzt schon, Monate vor dem Großereignis, Schauer über den Rücken.
    Papa fällt aus – Rollkragenpullover sind im Kreißsaal bestimmt nicht erlaubt. Mich alarmiert der Gedanke, dass mein Vater meine Hand halten könnte, während ich mich im Wasserbad durch Presswehen heule. Auch auf Tina kann ich nicht zählen: Nach

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