Kleine Schiffe
einer Tasse Tee in seiner kleinen Wohnung am Sandweg die Mitteilung machte: »Du kannst dich damit anfreunden, einen Enkel zu bekommen. Der Zellklumpen bleibt!«
Selbstverständlich fand diese Unterredung nicht etwa in familiärer Zweisamkeit statt. Zwar hingen die Unvermeidlichen vor Papas Fernseher im Wohnzimmer herum, während wir in seiner winzigen Küche saßen, aber genau im Augenblick meiner Offenbarung schlurfte einer von ihnen zu uns herein.
»Is was?«, fragte er, als er die Miene meines Vaters sah, und stöberte im Küchenschrank herum.
»Die Salzstangen sind da drüben«, presste Papa hervor und platzte dann heraus: »Rudi, Franziska bekommt ein Kind!«
Rudi ließ die Salzstangentüte fallen. Er drehte sich um, maß mich mit einem verwirrten Blick, klaubte die Tüte vom Boden und sagte dann: »Ein Kind?« Ratlos schüttelte er den Kopf und entschied sich für einen schnellen Rückzug. Während er sich aus der Tür drückte, hörte ich ihn murmeln: »Ein Kind. Hasse da Geschmack für?«
Mein Vater versank in seinem Rollkragen.
Tina reagierte weitaus gefasster. Wir saßen auf ihrem Balkon, der auf den Kreisverkehr des Klostersterns hinausgeht, zwischen Erdbeeren, Lavendel und Weihrauch im Topf, Kletterrosen und Efeu am Spalier, auf Tinas bequemen Liegestühlen und unter dem schattigen Dach ihrer Markise.
Im Gegensatz zu mir ist Tina eine Pflanzenliebhaberin und ihr Balkon eine grüne Oase. Der Klosterstern liegt mitten im betuchten Stadtteil Harvestehude. Anders als in meinem Stadtteil gibt es feine Stadtvillen: Hier wohnen Rechtsanwälte, Fernsehleute, Professoren. In Harvestehude sind die Menschen erlesen gekleidet, auch die jungen Mütter und Väter, die ihre Brut im italienischen Maßanzug bei der Kita abliefern. Die Kinder tragen edle Marken. Teure Kinderklamotten werden hier Secondhand auf dem Flohmarkt verkauft – und der ist ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem sich viele Anbieter als Outlet-Könige feiern und ihre letztjährigen Designer-Stücke verhökern. Harvestehude ist ein teures Pflaster, wer hier wohnt, muss es sich leisten können. Tina kann es sich leisten und ist stolz darauf.
Am Tag nach jenem legendären Zugtelefonat hatte sie mich zur Teestunde geladen. »Lass uns noch einmal in Ruhe drüber reden!«
Sie schenkte mir grünen Tee in eine hauchdünne Schale ein, knabberte an einem asiatischen Reiskräcker, lächelte wehmütig und sagte: »Ich hatte mir das schon gedacht. Das bedeutet also das Aus für meine wunderbaren Pläne, mit dir noch einmal die Welt zu erobern, oder?«
»Keinesfalls!«, wagte ich forsch zu entgegen. »Wenn du dich mit einer Welt anfreunden kannst, in der es ein Baby gibt?«
Tina trank einen Schluck Tee. Sie dachte nach. Sie stellte die Tasse wieder ab. Sie schwieg.
Schließlich streckte sie sich und stand dann auf. »Dann sollten wir darauf anstoßen!«
»Aber Tina, ich bin schwanger! Ich darf nichts trinken.«
Doch sie war bereits in der Küche. Ich hörte, wie der Kühlschrank geöffnet wurde, die Eiswürfel in Gläser fielen, und schließlich das »Plop«, mit dem ein Korken den Flaschenhals verlässt. Tina kehrte mit zwei großen Gläsern in den Händen auf den Balkon zurück. »Voilà! Sekt auf Eis!«
Das war ausgesprochen unfair, denn seit Jahren gehört es zu unseren Ritualen, den Sommeranfang im Juni und das Sommerende im September in einer unserer Lieblingskneipen, der Bar »R & B« in der Weidenallee, mit genau diesem Getränk zu feiern.
Ich protestierte erneut: »Tina, ich bin schwanger!«
Tina zauberte hinter ihrem Rücken die grüne Flasche hervor, die sie in der Küche geöffnet hatte. »Du bist schwanger. Und das ist alkoholfreier Sekt!« Sie grinste mich entwaffnend an und hielt mir die Flasche unter die Nase. »Ich bin schließlich deine beste Freundin! Wenn du mich vom Zug aus anrufst und mir sagst, dass ich Patentante werde, nehme ich das ernst.« Sie hob ihr Glas. »Alles Gute für die Schwangerschaft, Franzi. Und auf deine Courage!«
»Wenn du dich weiterhin so gut benimmst, darfst du mit in den Kreißsaal!«, sagte ich – ich war glücklich, dass ich meine Freundin durch den Familienzuwachs doch nicht verlieren würde.
Tina sah mich entgeistert an. Dann schüttelte sie entschieden den Kopf. »Nie im Leben! So viel alkoholfreien Sekt gibt es in keinem Supermarkt.«
Aber völlig allein und vor allem unvorbereitet möchte ich die Geburt nicht erleben. Die vielen Chatrooms und Blogs im Internet sind zwar durchaus
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