Kleine Schiffe
nach der Party so schnell aus den Augen, dass ich glauben musste, er habe mich doch nicht richtig wahrgenommen. Ich war ihm an jenem Abend einfach »passiert«. Vielleicht weil Babette einen Tanz nach dem anderen mit Stephan tanzte?
Von wegen schöne Jugenderinnerungen! Traurig, missverstanden und vor allem nicht liebenswert habe ich mich damals gefühlt. Michel war der Auftakt für mein nicht sonderlich spannendes Liebesleben. Bis Andreas auftauchte, habe ich mich bei Männern immer so gefühlt wie in jenen Tagen nach meinem Kuss mit Michel. Ich war nie eine Frau, um die sich Männer bemühten. Ich war immer die geduldige Zuhörerin, mit der ein Mann monatelang in einem Zweierzelt campen konnte, ohne sie anzurühren.
Bevor ich Andreas traf, verbrachte ich die Sommerferien mit Gelegenheitsliebhaber Heiko in einem bescheidenen Hotel auf einer griechischen Insel. Drei Wochen lang saßen wir Tag für Tag am Strand. Abends tranken wir bei Giorgios in der Taverne Retsina. Anfangs hatten wir ein paar Mal miteinander geschlafen, aber dann entwickelte sich unsere Beziehung immer mehr zu einer »guten Freundschaft«, wie Heiko meinte. Am Tag vor unserer Abreise eröffnete er mir, dass ich allein nach Hause fliegen müsse, weil er noch ein paar Tage dranhängen würde – mit Gundula. Ich fiel aus allen Wolken. Es stellte sich heraus, dass Gundula eines der blonden Mädchen war, die im Nachbar-Apartment wohnten. Dass Heiko mit ihr eine heiße Affäre hatte, war mir entgangen.
»Eigentlich habe ich gar keine Lust, zu diesem Klassentreffen zu gehen«, gestehe ich Lilli.
Sie ist entsetzt. »Natürlich gehst du! Was meinst du, was die staunen, wenn du mit Amélie auftauchst.«
»Ich kann doch kein Baby mit zum Klassentreffen nehmen!«
»Wieso denn nicht? Andererseits – vielleicht hast du recht: Das würde Amélie langweilen. Aber du kannst von ihr erzählen! Und nimm unbedingt ein paar Fotos mit. Ich wünschte, bei uns würde jemand ein Klassentreffen organisieren. Dafür würde ich mit Lisa-Marie glatt nach Berlin fahren!«
Ich habe nie herausbekommen, was zwischen Lilli und ihrer Mutter vorgefallen ist – nur, dass sich die beiden total überworfen haben. Lilli wollte ihr noch nicht einmal eine Geburtsanzeige schicken. Als ich versuchte, mit ihr darüber zu reden, blockte sie ab. »Denkste, Puppe!«, hat sie auf Berlinerisch geschnauzt. »Wenn du Andreas darüber informierst, dass er Vater geworden ist, dann melde ich mich auch bei meiner Mutter!« Damit war das Thema vom Tisch.
Jetzt sieht sie mich nachdenklich an. »Die Schule und unsere Freunde von damals – das war doch so etwas wie ein zweites Zuhause. Oder noch besser: Wir haben es als das wahre Zuhause verstanden, als wir mit fünfzehn in der extrem rebellischen Phase waren. Bei Mama, das war eben … selbstverständlich. Die musste mich ja lieben.« Sie hängt ihren Gedanken nach. Dann gibt sie sich einen Ruck; als müsse sie dunkle Erinnerungen vertreiben, wedelt sie kurz mit der Hand durch die Luft. »Ob wir wollen oder nicht, Franziska, irgendwie gehören die doch zu uns. Und wir zu ihnen. Du musst da auf jeden Fall hin. Das bist du dir und denen schuldig! Irgendwie.«
Ich muss lachen. »Wie du das sagst, hörst du dich an, als ob du morgen fünfzig wirst. Lilli, das ist bei dir doch erst ein paar Jahre her!«
»Na und? fünfzehn ist man nur einmal. Jetzt bin ich bald zwanzig, und mir scheint das alles so weit weg und ewig her. Vielleicht hätte ich doch meinen Meister machen sollen – dann könnte ich jetzt einen eigenen Salon aufmachen. Wäre doch schön für die Kleine! Sie könnte stolz auf ihre Mutter sein.«
»Das kannst du doch immer noch nachholen!«
Lilli nickt. »Schon klar. Vielleicht mach ich das ja auch.« Sie presst die Lippen zusammen, wischt sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn und zieht ihre Nase kraus. Wenn sie dieses Gesicht macht, weiß ich, dass das Thema erschöpft ist. Und schon fragt sie: »Was wirst du anziehen zu diesem Klassentreffen?«
Als ich mich fünf Wochen später auf den Abend vorbereite, bin ich zufrieden mit mir. Ich passe zwar noch nicht wieder in meine alten Jeans, aber ich habe mir eine schwarze Cargo-Hose gekauft, die zusammen mit einem weißen T-Shirt einen lässigen, aber gepflegten Eindruck macht. Ich habe immer noch ein paar Röllchen zu viel über dem Hosenbund, aber insgesamt sehe ich gesund und frisch aus. Finde ich. Lilli dagegen ist entsetzt. Sie stellt sich mit ausgebreiteten Armen vor
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