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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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die Haustür, als wolle sie ein fliehendes Pferd aufhalten, und sagt: »No way! So gehst du nicht aus dem Haus!«
    »Und wieso nicht?«
    Lilli schüttelt den Kopf. »Na, das ist doch nicht die Krabbelgruppe. Das ist ein Klassentreffen. Da, wo du allen mal zeigen kannst, was für eine tolle Nummer du geworden bist. Nee, Franzi, Ehrlichkeit ist schön und gut – aber so’n Abend? Das ist Showtime!« Sie lässt meinen Widerspruch nicht gelten und zerrt mich die Treppe hinauf. Oben komponiert sie dann einen Mix aus den Zutaten unserer Kleiderschränke. Von ihr stammt eine weiße Bluse mit langen Stulpen und einem tiefen Dekolleté. Von mir schwarze Leggings, die ich unter einem kurzen saphirblauen Seidenrock aus Lillis Sammlung trage. An den Füßen habe ich hochhackige Stiefeletten aus einem weichen Leder, in einem ähnlichen Blau wie der Rock. »Und jetzt das Tüpfelchen auf dem i!«, sagt Lilli und lässt mich in paillettenübersätes, in mattem Eierschalenton schimmerndes Bolero-Jäckchen schlüpfen. Im letzten Moment ziehe ich noch ein weißes Spitzenunterhemd unter die Bluse. »Lippenstift, Mascara, ein bisschen Goldstaubpuder!«, ordnet Lilli an. Gegen den Goldstaubpuder setze ich mich erfolgreich zur Wehr. Aber ansonsten steht mir das geschminkte Gesicht gut. Obwohl …
    »Sieht das nicht zu aufgebrezelt aus?«, frage ich unsicher und mustere misstrauisch mein Spiegelbild. Lilli schüttelt den Kopf. »Nee, voll sexy. Und irgendwie cool achtziger-Jahremäßig. Winntitsch, Baby, Winntitsch?«
    »Win was?«
    Lilli verdreht die Augen und buchstabiert: »V – I – N – T – A – G – E! Vintage!«
    Ich habe zwar keine Ahnung, was das bedeutet, aber ich fühle mich reichlich verwegen, als ich mich endlich verabschiede. Lilli küsst mich. »Viel Glück! Und wünsch mir das auch!« Sie hat an diesem Abend ein Experiment vor: Sie wird mit Lisa-Marie bei Viola übernachten, einer der »richtigen« Mütter aus unserem Schwangerschaftsgymnastik-Kurs. Viola ist inzwischen Mutter des kleinen Leon, und bei einem Treffen zur Rückbildungsgymnastik hat sich herausgestellt, dass sie nicht nur wie Lilli ein Fan der Fernsehserie »Gilmore Girls« ist, sondern dass sie alle – und zwar wirklich alle! – Staffeln besitzt.
    Lilli verabschiedet sich und nimmt mir das hochheilige Versprechen ab, dass ich tatsächlich die von ihr ausgesuchten Klamotten trage und nicht im letzten Moment Zuflucht zu meiner Mami-Uniform mit Schlabber-T-Shirt und Cargo-Hose suche. Tapfer nicke ich, obwohl ich mit fortschreitender Zeit immer unsicherer werde.
    Amélie, die auf einer Decke im Wohnzimmer liegt, brabbelt jedenfalls ziemlich begeistert und krallt sich sofort in meinen Blusenausschnitt. Ihr scheint mein Aussehen zu gefallen. »Entchen, du bist nicht objektiv!«, tadele ich meine solidarische Tochter.

    Weil Lilli unterwegs ist, Papa mit den Unvermeidlichen zum Schachspielen will und Tina zum Kochkurs, habe ich Simon gefragt, ob er bei Amélie babysitten würde. Als er auftaucht, bietet sich die erste seriöse Möglichkeit, mein Outfit zu testen.
    »Gehst du mit einem Mann aus?«, fragt er, als ich ihn begrüße. Sein Tonfall liegt zwischen Interesse und Missbilligung.
    »Das hat mein Vater früher auch immer gefragt«, ziehe ich ihn auf und spiele die brave Tochter. »Ich bin bestimmt vor Mitternacht zu Hause, Paps!« Aber da er nicht lacht, kläre ich ihn über den Anlass des Abends auf.
    Sein Gesicht erhellt sich. »Bei meinem letzten Klassentreffen haben mein Freunde und ich stundenlang zusammengesessen, unfassbar viel getrunken und uns gegenseitig gebeichtet, wer mit wessen Freundin was gehabt hat und welche Mädels wir nie rumgekriegt haben, obwohl wir damit angaben. Da gab es nämlich einen heißen Feger namens Miriam …«
    Bevor er weiter in Jugenderinnerungen schwelgen kann, unterbreche ich ihn: »Wie sehe ich aus?«
    Ich drehe mich um die eigene Achse und freue mich über die blauen Stiefel, die sich nicht nur gut an den Füßen anfühlen, sondern mir einfach gute Laune machen. Und dass der Rock noch ein bisschen eng im Bund sitzt, bleibt unter der fluffigen weißen Bluse unbemerkt.
    Simon sieht mich an. Für einen Moment meine ich einen fast verkniffenen Zug in seiner Miene zu entdecken: Als ob es ihn stört, dass ich heute Abend ausgehe – ohne ihn. Was für ein Blödsinn, schelte ich mich innerlich und frage: »Kann ich so los?«
    Simon hebt Amélie hoch, er spielt den Ehemann und Vater, als er dem Baby zuraunt: »Die Mama

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