Kleine Schiffe
entfachen im Garten ein Lagerfeuer.
Lilli antwortete kaum hörbar: »Vielleicht will meine Mutter ja mal kommen.« Ich sehe schnell hoch. Lilli weicht meinem Blick aus.
»Du hast Kontakt zu deiner Mutter?«
Lilli nickt. Ihr Gesicht ist von einem flammenden Rot überzogen. »Ja, ich habe ihr geschrieben. Und ein Foto von Lisa-Marie mitgeschickt. Du weißt schon, das, wo sie auf der Decke vor dem Kamin liegt.«
»Das ist wunderschön, Lilli! Natürlich kann deine Mutter kommen! Wann ist es denn soweit?«
»Halt die Luft an, Franzi! Noch ist kein Happy End in Sicht.«
»Wieso nicht?«
»Ich habe ihr geschrieben … aber bisher hat sie nicht geantwortet.« Sie nimmt Lisa-Marie auf den Arm und geht in die Küche. In der Tür dreht sie sich um. »Ist ja erst drei Wochen her.«
Nachdenklich stöbere ich weiter in den Kisten. Was soll ich nur mit all diesem Zeug? Ich krame einen Untersetzer hervor. Als ich den häkelte, war Simon noch nicht einmal geboren. Seit über zwanzig Jahren schleppe ich ihn mit mir herum! Das erscheint mir so absurd, dass ich lauthals lachen muss. Ich beruhige mich erst, als Lilli wieder in der Tür auftaucht. »Bei dir alles klar?«
Ich setze mich immer noch kichernd auf einen Stuhl und zeige auf den Untersetzer, der sich hellgrün und hässlich auf der Tischplatte wölbt. »Sieh mal: Das ist bisher mein Leben gewesen!«
Lilli grinst und begreift. »Jetzt mistest du richtig aus, stimmt’s?«
Ich nicke. Genau das ist es! Ich kann es kaum erwarten, die Erinnerungsstücke aus meinem früheren Leben zu entsorgen. Die Sache mit dem Flohmarkt war nur der erste Schritt. Jetzt gehe ich den Weg weiter. »Was mache ich mit Bastelmaterialien, die noch verwendbar sind?«
Lilli schlägt vor: »Die könntest du dem Kindergarten stiften. Die Pfadfinder haben da doch auch ihr Quartier.«
»Hilfst du mir?«
»Klar! Und danach grillen wir, okay? Simon ist doch später sowieso da, wie ich ihn kenne. Und David sag ich noch Bescheid.«
David und Simon haben einen simplen Grill im Garten gemauert – seitdem legen wir abends häufig Würstchen oder Maiskolben auf den Rost.
Gemeinsam gehen Lilli und ich die Kisten durch: Wir teilen den Inhalt auf – in Müll, Erinnerungsstücke, die ich behalten will, und gut erhaltene Materialien für den Kindergarten.
Zwei Stunden später ist das Zimmer fast ausgeräumt, und ich fühle mich, als wäre eine Zentnerlast von meiner Brust gewälzt. Mir war nicht klar, wie schwer Erinnerungen wiegen können.
Während Lilli den Müll zu den Tonnen schleppt, stehe ich nachdenklich im neuen Gästezimmer.
Den schaurigen grünen Untersetzer habe ich aufgehoben. Er soll mich an die andere Franziska erinnern, die ihren Kummer hinter ihren Hobbys verbarg. Ich hebe Amélie aus ihrer Wippe, die auf dem Boden steht. Sie sieht mich aufmerksam an. Das können nur Säuglinge: Einen anderen Menschen minutenlang ansehen, ohne die Augen niederzuschlagen. Während ich in ihren blauen Augen versinke, kommt mir eine Idee. Und die teile ich Lilli gleich mit, als sie zurückkommt. »Weißt du was? Solange wir keine Übernachtungsgäste haben, können wir für die Kinder hier ein Spielzimmer einrichten.« Lilli strahlt mich mit ihrem Pfirsich-Lächeln an. »Lass uns Sonnenblumen an die Wände malen, dann haben die Kleinen auch bei Regenwetter immer die Sonne vor Augen!« Sie zeigt auf meine aussortierten Tuben und Dosen. »Wir müssen nicht einmal neue Farben kaufen!«
Bevor wir uns am Abend um den kleinen Grill setzen, kommt Lilli mit einer Plastiktüte in den Garten. »Guck mal, Schatz! Überraschung!« Sie holt rote kleine Laternen aus der Tüte, bestückt sie mit Teelichten und hängt sie in den alten Pflaumenbaum. »Die gab’s billig im Drogeriemarkt. Wie schön!« Sie zündet die Teelichte an. Die roten Lämpchen schwimmen wie kleine Schiffe durch die Abenddämmerung. Und als ich mir das von nahem ansehen will, erlebe ich noch eine Überraschung. Der alte Baum treibt sehr vereinzelt, aber sichtbar wieder aus! Jetzt, mitten im Sommer! Begeistert zeige ich es Lilli. Sie piekt mich in die Seite. »Kannste mal sehen: Vierzig ist nicht alt, wenn man ein Baum ist.« Sie zwinkert mir zu. »Und auch sonst nicht!«
Der Tisch ist schon gedeckt, die Babys haben wir in ihren Wippen auf die Terrasse gestellt, wo wir sie von allen Seiten gut im Blick haben, die ersten Würstchen liegen auf dem Grill – da sagt David wieder einmal kurzfristig ab. Lilli ist traurig. Aber seit Lisa-Maries Geburt
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