Kleine Schiffe
hellt sich ihre Stimmung sehr viel schneller wieder auf. Sie gibt sich einen Ruck und legt statt der melancholischen Elvis-Stücke neue Musik auf. Während ich in der Küche den Salat mische, tanzt sie mit Lisa-Marie durch den Garten. »Mach doch mal ein bisschen lauter!«, ruft sie ins Haus.
Ich gehe zur iPod-Anlage, die Lilli von David ausgeliehen hat. »Was hörst du denn?«
Lilli kommt an die Tür. »Die siebzehn Hippies.«
Die Musik ist eine Mischung aus Folklore und Jazz, mit Akkordeons und Trommeln, Geigen und Gitarren. Sehr rhythmisch und pulsierend.
Aufatmend lässt sich Lilli auf einen Liegestuhl fallen. Sie ruft: »Simon! Essen!« Ich stelle das Tablett mit dem Salat, Senf und Ketchup auf den Campingtisch. Die siebzehn Hippies geben jetzt alles. Simon, der im Wohnzimmer Fußball geguckt hat, kommt nach draußen. Er gibt mir einen Kuss und verbeugt sich dann vor mir. »Darf ich bitten, meine Schöne?«
»Wie … ich … was, hier?«
»Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt? Was, wenn nicht tanzen?« Er nimmt meine Hände, zieht mich an sich, und dann drehen wir uns zu der Musik in der warmen Abendluft.
Als junges Mädchen habe ich immer davon geträumt, mit dem Mann meiner Träume tanzen zu gehen. In einem funkelnden Ballsaal im Licht vieler flackernder Kerzen. Ich im langen, fließenden Abendkleid, mit hochgesteckten Haaren und rot leuchtenden Lippen. Er im dunklen Anzug, vielleicht sogar im Smoking, mit glänzenden Schuhen und eingehüllt in den Duft eines teuren Aftershaves. Zu den Klängen eines Tanzorchesters …
Doch dieser Tanz hier in unserem kleinen Garten, mit Flipflops an den Füßen, in Jeans und T-Shirt, mit offenen Haaren und ungeschminkt, in den Armen von Simon, der ein wenig nach Holzkohlerauch und Bier und nach zu Hause und nach Abenteuer riecht, zu dieser Musik von Lilli … das ist es. Das ist Glück.
»Hallo, Frau Funk! Hallo!« In die Musik hinein tönt eine Stimme, die mir vertraut erscheint. Ich öffne die Augen.
Am Gartenzaun steht Herr Pröllke. Dr.Pröllke!
Ich mache mich von Simon los und flüstere ihm zu: »Mein Vermieter. Machst du die Musik leiser?«
Während Simon ins Haus geht, atme ich tief durch und gehe auf Pröllke zu. Genau in dem Moment, als die Musik verstummt, beschließen die Babys loszuheulen – erst Amélie, dann Lisa-Marie. Das machen sie häufig so: Eine fängt an, die andere stimmt mit ein. Normalerweise stört uns das nicht weiter, aber diesmal werde ich nervös und bin froh, dass sich Lilli gleich Lisa-Marie schnappt.
»Moment, ich komme gleich, Herr Pröllke!«, rufe ich und nehme Amélie auf den Arm. Dann trete ich auf ihn zu. »Entschuldigen Sie, Dr . Pröllke.«
Pröllke verzieht das Gesicht und lässt keinen Zweifel daran, dass er nicht bereit ist, irgendetwas zu entschuldigen. Er kommt ohne Umschweife zur Sache. »Frau Funk, was ist das hier?« Er zeigt auf den Grill und auf Lilli, die in knallroten Shorts, einem quietschgelben Top und einem buntgemusterten Turban im Liegestuhl sitzend Lisa-Marie stillt.
»Wir essen zu Abend«, antworte ich und hoffe, dass meine Stimme harmlos klingt. »Möchten Sie auch ein Würstchen?«
Pröllke wehrt so erschrocken ab, als hätte ich ihm einen Salat aus Spinnenbeinen und Mäuseschwänzen angeboten.
Amélie hat sich immer noch nicht beruhigt. Ich stecke ihr zur Ablenkung meinen kleinen Finger in den Mund.
Pröllke nutzt die Chance. »Ich dachte, ich hätte Ihnen meine Meinung über das Grillen schon gesagt.« Simon kommt aus dem Haus, aus dem die Musik jetzt deutlich leiser klingt. Er lächelt unbefangen zu uns herüber und dreht ungerührt von dem Disput zwischen Pröllke und mir die Würstchen um.
»Bis jetzt hat sich noch keiner beschwert.«
Pröllke winkt ab. »Darum geht es nicht, Frau Funk. Es geht um mich. Ich wünsche das nicht!« Er mustert Amélie, als ob er sie jetzt erst wahrnimmt. »Wenn Ihre Tochter mit ihren Kindern zu Besuch ist, möchte ich sie doch bitten, sich an die Hausordnung zu halten.«
»Meine Tochter?«
Pröllke weist auf Lilli. »Oder wer ist das dort? Mich geht es ja nichts an, aber so jung und schon zwei Kinder! Und der Mann dahinten? Ihr Schwiegersohn?« Pröllke sieht mich ernst an, als versuche er in mir eine Verbündete zu finden.
»Na ja, eigentlich …« Durch mein Gestottere versuche ich Zeit zu gewinnen. Was geht denn den Pröllke mein Leben an? Ich bezahle schließlich die Miete pünktlich.
Lisa-Marie schreit. Das Stillen scheint
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