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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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»Kuckuck«-Spiel. Der süße, saubere Babyduft, der sie umgibt wie eine hauchzarte Wolke.
    Das Leben ist wie ein Pepita-Muster, hell-dunkel-hell-dunkel. Schwarzweiß. Und das Glück liegt in der sekundenkurzen Abwesenheit von Sorge und Anspannung – im erfüllten Beobachten des Schmetterlings, wohl wissend, dass er gleich weiterfliegt.
    Wenn Simon nicht da ist, spüre ich meine Sehnsucht nach ihm und merke, wie lebendig ich bin. Vielleicht ist Sehnsucht das intensivste aller Gefühle – intensiver noch als ihre Erfüllung.
    Der scharfe Schmerz der Sehnsucht, wenn sich Simon nicht meldet, hält mich nicht nur in der Nacht wach. Er begleitet mich auch durch den Tag, und ich habe das Gefühl, als wäre meine Haut dünner geworden. Alles spüre ich intensiver. Den Schmerz und die Angst, aber auch die Freude, die Freundlichkeit, das Glück. Eben das Leben.

    Viel zu schnell kommt der Herbst. Wir kaufen Schneeanzüge für die Kinder, Handschuhe und dicke Strumpfhosen, Steppeinlagen mit Fußsack für die Buggys. Während es kälter wird, läuft sich Dr.Pröllke richtig warm. Fast jede Woche bekommen wir ein neues Schreiben von ihm, doch es sind immer nur Drohgebärden. David hat seinen Vater zwar nicht angerufen, aber Pastor Brenner hat sich für uns beim Mieterschutzbund, bei dem er Mitglied ist, erkundigt: Solange Pröllke uns nicht rechtskräftig kündigt, brauchen wir keine Angst zu haben. Allerdings hat mir Hebamme Kim verraten, dass Pröllke mittlerweile großes Interesse daran hat, das Gartenhaus zu verkaufen. »Die Gegend hier boomt doch – und ihr habt aus dem Schuppen ein richtiges Schmuckstück gemacht, mit dem tollen Garten. Kleine Wiese, alter Baum, ein Grillplatz …« Also will Pröllke uns rausekeln und schreibt Briefe, in denen er behauptet, wir hätten irgendwelche Bestimmungen nicht erfüllt, als wir den Grill bauten, oder dass sich Mieter im Vorderhaus über unsere Musik – wahlweise den Kinderlärm – beschwert hätten.
    An einem Samstag liege ich in meinem Bett und lausche den Geräuschen des Morgens: die wochenendliche Stille im Hinterhof, das Zwitschern vereinzelter Vögel, die sich entschlossen haben, den Winter in der Stadt zu verbringen. Das beruhigende Brummen der Großstadt, gedämpft durch das Vorderhaus und den Garten.
    Neben mir plappert Amélie vor sich hin. Ich habe ihr vorhin das Morgenfläschchen gegeben und mich dann noch einmal hingelegt. Jetzt versucht sie, sich in ihrem Bettchen am Fenster hochzuziehen. Natürlich kann sie noch nicht richtig stehen. Aber mit fast zehn Monaten übertrumpfen sich Lisa-Marie und Amélie mittlerweile gegenseitig dabei, Sachen aus den Regalen zu reißen. Wir sind gespannt, wer von den beiden zuerst laufen wird.
    Neben mir liegt Simon, er regt sich, und ich fühle seine Hand an meiner Hüfte.
    Lilli ist schon wach, ich höre von unten Geräusche aus der Küche: das Öffnen und Schließen der Schränke, leise Musik, Klappern von Geschirr, Lisa-Maries Babyplappern, Männerstimmen.
    »Mit wem redet Lilli?«, frage ich Simon. Er schlingt seine Arme um mich. »Vorhin ist Hermann mit Rudi und Helmut gekommen. Du hast noch schön geschlafen, als sie klingelten. Ich wollte dich nicht wecken und habe mit Lilli abgemacht, dass sie ihnen vor ihrem Einsatz ein kleines Frühstück macht. Du weißt doch, die wollen das Kaminholz stapeln, das Sophie heute liefert.« Er spricht langsam und schläfrig wie ein Kind, das gerade geweckt worden ist.
    Lilli hat Papa und die Unvermeidlichen in unseren Haushalt eingebunden. Es ist, als ob sie nur auf Lisa-Marie gewartet hätte, um in ihrem Leben auf »Neustart« zu klicken. Sie hat einen großen Kalender für die Küche gekauft, in den sie unsere Termine einträgt. Sie scheucht mich zum Lauftraining, sorgt dafür, dass wir alle Untersuchungstermine beim Kinderarzt einhalten, und plant sogar, ihre Ausbildung zu beenden. »Lisa-Marie kann sich ja schließlich nur auf mich verlassen!« Das ist ihr neuer Wahlspruch.
    David lässt sich immer seltener blicken. Lilli verliert darüber kein Wort. Nur als ich einmal nachfragte, ob David eigentlich für Lisa-Marie zahlt, erwidert sie kurz und knapp: »Lisa-Maries Großeltern haben sich entschlossen, sich ihres Problems mit Geld zu entledigen.« Baby, Haushalt, Weiterbildung – das verträumte Märchenwesen mit dem Pfirsich-Lächeln verfügt unter dem dicken Lidschatten und den gelben Kreppschleifen im Haar über die Qualitäten einer Logistik-Managerin, über das Hirn einer

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