Kleine Suenden zum Dessert
kriegerischem Ton.
Grace sah ihn erschrocken an. »Was?«
»Es ist mir durchaus bewusst, dass ich kein Adonis bin, okay?«
»Frank ...«
»Ich wurde auf dem Internat zum ›Schüler, der höchstwahrscheinlich allein bleiben wird‹ gekürt. Zweimal. Aber Sandy sagt, Aussehen sei ihr nicht wichtig. Sie sagt, sie hat die Knaben satt, die sie andauernd anbaggern. Sie geht in keine Klubs und Bars und Fitnesscenter mehr, weil dort lauter gut aussehende Muskelprotze versuchen, sie ins Bett zu kriegen.«
In Graces Ohren klang das nach dem Himmel auf Erden, doch sie murmelte mitfühlend: »Wie schrecklich.«
Frank fuhr schwärmerisch fort: »Sie sagt, sie hatte, bis sie mich kennen lernte, niemals eine tief gehende Beziehung, dass ich das Licht ihres Lebens bin und dass wir Gott auf Knien danken müssen, dass wir einander gefunden haben!« Grace war ein wenig irritiert. Sandy schien leicht überdreht zu sein. Offenbar liebte sie Frank über alle Maßen.
Was natürlich phantastisch war. Selbstverständlich würde die Verliebtheit nachlassen - für gewöhnlich nach den ersten Ehejahren, und mit der Geburt des ersten Kindes mehr oder weniger erlöschen. Nach dem zweiten Kind war sie dann nur noch ein Relikt aus vorgeschichtlicher Zeit, das seinen alten Kopf kurz am Valentinstag erhob und vielleicht während eines Sommerurlaubs auf Kreta oder sonst wo, nach zu viel Wein in einer Bar und einem Strandspaziergang zu den Bella-Vista-Familien-Apartments. Grace ließ den voller Sehnsucht auf Sandys Foto starrenden Frank allein und ging zu Mrs Carrs Haus hinüber. Aufgrund ihres Berufes war sie gewohnt, die Häuser fremder Leute in deren Abwesenheit zu betreten, und innerhalb kürzester Zeit vertraut mit den Lichtschaltern und lockeren Dielen im Wohnzimmer, die einen ins Stolpern brachten, wenn man nicht aufpasste. Nicht, dass sie hineingegangen wäre, um zu schnüffeln - die mit Schuldbewusstsein gepaarte Neugier, wie andere Leute lebten, gehörte längst der Vergangenheit an. Nein, sie hatte von der Straße aus gesehen, dass das Panoramafenster einen Spalt breit offen stand. Als sie mit einem Ruck den Vorhang beiseite zog, sah sie einen Mann auf das Gartentor zukommen und, als sie das Fenster mit einem Knall schloss, erschrocken zurückzucken. Er hatte einen Rucksack dabei und eine aus der Entfernung undefinierbare Rolle unter dem Arm, mit der er, als er die Hand in seinem Schrecken hochriss, gegen den Außenspiegel von Lisas BMW schlug. Er landete scheppernd auf dem Asphalt.
Einen Moment lang schauten sie einander durch das geschlossene Fenster an. Dann öffnete Grace es wieder.
»Tut mir Leid.« Er sammelte die Scherben auf und versuchte. den Spiegel wieder zusammenzusetzen.
»Nein, mir tut es Leid. Lassen Sie‘s gut sein.«
»Aber Ihr...«
»Es ist nur passiert, weil ich das Fenster zugeknallt und Sie erschreckt habe ...«
»Ich wollte das nicht ... der Spiegel ist einfach abgebrochen ...«
»Halb so schlimm. Es ist keine große Sache, einen neuen montieren zu lassen.« Sie lächelten einander an.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte sie schließlich.
»Ist das hier das Park View House?« Er klang wie ein Australier oder vielleicht auch ein Neuseeländer. Seine Surfer-Shorts konnten aus jedem der beiden Länder stammen. Und er war eher ein Junge als ein Mann. Vielleicht Anfang zwanzig. Nicht dass Grace eine gute Schätzerin gewesen wäre - je älter sie wurde, umso ungenauer erriet sie das Alter von Jüngeren. Was allerdings nur fair war, wenn man bedachte, wie haarsträubend sich Teenager bei allen über fünfundzwanzig verschätzten.
»Ich weiß es nicht«, musste Grace zugeben. Es gab keinen Park in der Umgebung, was jedoch nichts heißen musste. Sie hätte einen ganzen Tag lang Beispiele dafür aufzählen können, was für alberne Namen Leute ihren Häusern gaben (La Maison Rouge für einen ehemaligen Sozialbau in Crumlin!). Sie machte das Fenster weiter auf und lehnte sich hinaus, um die Hausnummer über der Eingangstür lesen zu können. »Jedenfalls ist es Nummer 28. Welche Nummer suchen Sie?«
Er zog einen zerknitterten Zettel zurate und schaute dann wieder zu ihr auf. Seine Augen waren leuchtend blau. Vielleicht täuschte das aber auch, weil er so braun war. »Hier steht keine Hausnummer. Nur Park View House. Mrs Julia Carr?«
»Oh! Ja!«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
»Nein, nein, ich bin nicht Mrs Carr. Ich bin ...« Es war alles viel zu kompliziert, und darum sagte sie nur: »Sie
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