Kleine Suenden zum Dessert
gehört und wollte mich nur vergewissern, dass hier keine wilde Party veranstaltet wird oder so was«, erklärte sie in frostigem Ton. »Obwohl ich meine Nase eigentlich nicht in fremder Leute Angelegenheiten stecke, wenn ich nicht darum gebeten werde.« Ihre Stimme drückte Verletztheit und Selbstgerechtigkeit aus.
»Nein - wir sind es nur«, sagte Grace. »Ich bin nun doch nicht mit Ewan und den Jungen geflogen.«
»Sie und Ewan haben sich getrennt«, erklärte Nick. Das war seine Art von Humor.
Doch Hilda, die keine Art von Humor besaß, machte einen energischen Schritt auf ihn zu und bellte kriegerisch: »Was reden Sie denn da?«
Grace ging hastig dazwischen. »Das ist mein Bruder Nick, Hilda. Nick - das ist meine Nachbarin Hilda.«
»Hallo«, sagte Nick.
Hilda bedachte ihn mit einem angewiderten Blick und schaute Grace dann kopfschüttelnd an, als wolle sie sagen: »Dem hast du den Vorzug vor uns gegeben?« O nein, sie war noch nicht eingerissen, die Mauer zwischen den Tynans und ihren guten Freunden, den Brennans von nebenan, zu deren Errichtung Nick vor zwei Tagen unwissentlich beigetragen hatte. Harry und Hilda waren in höchstem Maße gekränkt gewesen, als ihnen eröffnet wurde, dass sie kein Auge auf das Haus haben müssten, während die Familie verreist sei, wie sie es in den letzten zehn Jahren immer hatten. Harry hatte Ewan gefragt, ob sie ihnen nicht mehr über den Weg trauten und glaubten, sie würden das Silber stehlen, und Hilda war gestern nicht wie üblich zum Kaffee herübergekommen und hatte ihre Wäsche erst nach Einbruch der Dunkelheit hinausgehängt. Die Sache drohte zu eskalieren, und so hatte Grace ihren Mann gestern Abend mit einer Flasche Whiskey und einem Blumenstrauß hinübergeschickt.
Hilda stand wie ein Fels in der Küche, und Nick machte Hilfe suchend einen Schritt in Graces Richtung. Aber Grace hatte für heute genug davon, Männer zu betütern, und so griff sie sich ihre Autoschlüssel. »Ich muss einen Herd putzen.«
»Was?«, fragte Nick entgeistert. »Bis später«, sagte sie und ging.
»Schau sie an. Sie sieht so ... alt aus. Und winzig!«
»Reg dich nicht auf, Gillian. Frisch operiert sieht niemand aus wie das blühende Leben.«
»So könnte ich jetzt daliegen, wenn es eine Bronchitis gewesen wäre, Michael.«
»Nun, Gott sei Dank war es ja nur ein zu enger Büstenhalter.«
»Das ist bisher reine Theorie. Die Testergebnisse sind noch nicht da.«
Julia hörte die gedämpften Stimmen wie aus weiter Ferne. Sie wusste nicht genau, wo sie sich befand. Das konstante Piep Piep Piep dicht neben ihrem Ohr deutete auf ein Raumschiff hin. Oder einen Spielsalon. Aber um die Automaten zu bedienen, müsste sie doch wohl aufrecht stehen.
Eine neue Stimme. Kindlich. Weinerlich. »Dad, darf ich den Fernseher anmachen?«
»Ich habe bereits nein gesagt.«
»Aber Buffy läuft!«
»Susan! Deine Großmutter ist angeschossen worden und gerade erst operiert.«
»Aber sie wird doch nicht sterben, oder?« Plötzlich erinnerte Julia sich an die Ereignisse des Morgens, und sie begriff, dass sie sich in einem Krankenhausbett von einer Schussverletzung erholte und nicht mit Hilfe von Tabletten in einem Raumschiff der Ewigkeit entgegensteuerte. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, doch ihre Lider fühlten sich an wie zugeklebt und sie hatte einen ekelhaft-giftigen Geschmack in ihrem Mund, der weit offen stand. Das tat auch das Kliniknachthemd, wodurch jeder freie Sicht auf ihre Unterhose hatte (das merkte sie, weil sie auf der Seite lag und es hinten reinzog.) Wunderbar. Sie wollte sich auf den Rücken drehen, brachte aber nicht die Kraft dazu auf. Genau gesagt hatte sie das Gefühl, als würde sie jeden Moment in winzige Stückchen zerbrechen - und die in den Weltraum davonschweben und ein angenehmes Nichts hinterlassen würden. Halt! Vielleicht lag sie ja im Sterben! Vielleicht war es das. Der große Abgang. Wahrscheinlich war die Familie mit gebotener Grabesstimme telefonisch an ihr Bett zitiert worden: »Die Fußoperation bei Ihrer Mutter lief leider nicht so glatt wie gehofft. Vielleicht kommen Sie besser her.« Und jetzt waren sie alle versammelt, mit ernsten Gesichtern und griffbereiten Taschentüchern, um Zeugen des bedeutenden Augenblicks zu werden. Möglich, dass sogar der Krankenhausgeistliche gegen Ende käme. Bei JJ war er gekommen, dann würde er es bei ihr doch auch tun, oder? Anschließend würden sie alle in ein gemütliches Pub gehen und erzählen, was für ein
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