Kleine Suenden zum Dessert
noch nie einen Seifenopernstar kennen gelernt hatte - geschweige denn mit ihm geschlafen. »Ich bin unheimlich scharf auf dich, Mädel«, sagte er, während sie sich auf dem Bett wälzten. Der EastEnd-Akzent war leicht abtörnend, aber sie ließ sich davon nicht irritieren, denn der Bursche war wirklich ein Sahneschnittchen. Und sie machten all die Dinge, die sie schon immer hatte tun wollen, von denen sie aber nicht gewusst hatte, ob sie erlaubt waren. Und sein bestes Stück war eine Sensation. Doch plötzlich stand er unvermittelt auf und begann, sich anzuziehen.
»Ich muss los, Kleine - wir drehen um drei. Soll ich dir Dirty Den reinschicken?«
»Ooh, ja, bitte!«
Grace wachte auf. Sie lag in einem fremden Bett, und es war kein Schwarzer aus EastEnders da und Dirty Den auch nicht. Nur Mrs Carrs kratzige Laken und ihr gewöhnungsbedürftiger Dekorgeschmack.
Sie drehte sich auf den Rücken, schaute zur Decke hinauf und fragte sich, warum sie neuerdings so oft an Schmuddeligkeit und Sex dachte - und wieso in ihrem Kopf das eine untrennbar mit dem anderen verbunden war. Hoffentlich würde sie nicht auch noch ein Faible für Pornos entwickeln. Ewan wäre entsetzt. Vielleicht auch nicht. Zumindest war das kein Artikel, den er auf ihrer Einkaufsliste zu finden erwartete, die am Kühlschrank hing. Aber er hatte irgendwann mal damit angegeben, dass er so was schon mal gesehen habe. Doch das war damals gewesen, als sie noch jung waren und es dazugehörte, sich Working Girls 2 anzusehen. (Der bloße Filmtitel ließ einen Schauer über Graces Rücken rieseln. Was war nur los mit ihr?) Schließlich konnte man nicht sagen, dass ihr eheliches Sexleben schlecht war. Nun ja, es mangelte ihm vielleicht ein wenig an Abwechslung. Im Lauf der Jahre hatten sie sich an bestimmte Abläufe gewöhnt wie alle anderen verheirateten Paare, abgesehen von den Perversen, die auf Partnertausch standen und so was. (Vielleicht waren sie ja gar nicht pervers, dachte Grace. Vielleicht hatten sie einfach begriffen, dass Monogamie sowohl unnatürlich als auch ein Versäumnis war.) Hin und wieder schaute einer von ihnen am Samstagabend zu tief ins Glas und versuchte dann, in unbekannte Gefilde vorzustoßen, doch der Nüchterne reagierte verlegen, und außerdem fehlten ihnen immer die notwendigen Lebens-oder Hilfsmittel, und die Erinnerung daran steigerte die Verlegenheit am nächsten Morgen noch. Nein, im Großen und Ganzen blieben sie bei dem Bewährten und Altvertrauten. Ewan schien ganz zufrieden damit zu sein - wenigstens beschwerte er sich nie. Und sie war es ebenfalls, obwohl sie sich nicht weitere vierzig Jahre in demselben Trott vorstellen konnte - oder fünfzig, wenn die medizinische Forschung weiterhin solche Fortschritte machte.
Manchmal, wenn sie darüber nachdachte, wie viele Jahrzehnte noch vor ihr lagen, packte sie eine Art von Panik, die sich aus den Jahrzehnten erklärte, die bereits hinter ihr lagen, und dem Gefühl, dass sie sie nicht sonderlich gut genutzt hatte.
Der Duft von gebratenem Frühstücksspeck wehte durch die Türritzen herein. Grace richtete sich auf und zog prüfend die Luft durch die Nase ein. Es roch auch nach Würstchen. Sie war am Verhungern.
Im Kleiderschrank fand sie einen Morgenrock - dem Modell nach Eigentum von Mrs Carr - und warf ihn sich über, denn sie war zu ungeduldig, um sich richtig anzuziehen. Das Kirschrot schmeichelte ihr nicht gerade, und der Nylonstoff kratzte auf der Haut, aber immerhin war das Ding bodenlang und ließ sich bis unters Kinn zuknöpfen, was ihr ungemein wichtig erschien. Sich auszumalen, in Working Girls 2 als Statistin mitzuwirken, war eine Sache - mit einem fremden Mann, der ihr zu verstehen gegeben hatte, dass er nicht bemuttert werden wollte, allein in einem fremden Haus zu sein, eine ganz andere.
Er stand am Herd, als sie in die Küche kam, die Dreadlocks zum Pferdeschwanz gebunden. Es sah sehr reizvoll aus, wie vom Friseur kunstvoll gesträhnt, in Wahrheit aber nur von der Sonne gebleicht. Er warf ihr einen Blick zu und deutete mit dem Daumen in Richtung Tisch. »Setzen Sie sich. Ich mache Ihnen Kaffee.«
»Danke.«
Er drehte sich zum Spülbecken und ließ Wasser in den Kessel laufen. Stille breitete sich aus, nur unterbrochen vom Zischen der Würstchen in der Pfanne. Grace, die über eine zehnjährige Konversationserfahrung verfügte, fiel absolut nichts ein, was sie sagen könnte. Adam schien das Schweigen nicht zu stören. Er bewegte sich völlig entspannt zwischen
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