Kleiner Hund und große Liebe
Barry so liebhaben. Wir dürfen es nicht aus lauter Egoismus weiter aufschieben. Unser Barry soll sich nicht quälen.“
Ich legte meine Wange an die von Papa, und er strich mir über den Kopf.
In diesem Augenblick verstanden wir uns besser denn je.
Die letzte Nacht verbrachte Papa unten bei Barry. Ich schlief in meinem Bett oben - nein, ich schlief nicht. Ich döste ein bißchen, schlief ganz kurz, wachte auf, schlief wieder und träumte merkwürdiges, verworrenes Zeug - wachte wieder auf und konnte nicht mehr schlafen. Alle meine Gedanken waren bei Barry, tausend Erinnerungen tauchten auf. Barry in den Ferien im Wallis, wie munter und vergnügt war er auf unseren Bergwanderungen mitgelaufen! Barry im Winter, wenn er stolz und fröhlich Marcus oder mich auf dem Rodelschlitten zog. Barry, wenn er Papas Hausschuhe brachte, wenn er den Einkaufskorb trug, wenn er auf Marcus aufpaßte, als der Kleine eben laufen gelernt hatte, und die Gefahr bestand, daß er sich an den Tischkanten stoßen könnte, Barry, der sich knurrend zwischen Mama und einen verdächtigen Typ gestellt hatte, der unter einem Vorwand bei uns geklingelt und bestimmt etwas Böses im Schilde geführt hatte.
Auf Barry war immer Verlaß.
Die Sonne ging auf. Es war ein wunderschöner Maimorgen.
Ich hielt es nicht mehr aus. Lautlos stand ich auf, schlüpfte in meinen Bademantel, ging aus der Wohnung und machte die Tür lautlos hinter mir zu.
Unten im Atelier war Licht. Leise öffnete ich die Tür.
Da saß Papa, schon angezogen. Er blickte auf, als ich kam, sagte aber nichts. Er zeigte nur wortlos mit der Hand in Barrys Ecke.
Ich ging näher heran. Hinter mir hörte ich Papas Stimme, eine heisere, belegte Stimme: „Unser Wunsch wurde uns erfüllt, Lillepus.“
Barry lag tot in seinem Korb.
Ich weiß nicht, wie wir es schafften, an diesem Tag unseren Pflichten nachzugehen und wie ich die Unterrichtsstunden überstand.
Wir hatten alle geweint an diesem Morgen. Irgendwie war es eine Erleichterung, keine Komödie mehr spielen zu müssen. Es war uns allen schwergefallen, in diesen letzten Tagen eine muntere, unbefangene Stimme zu haben, wenn Barry uns hören konnte.
Es war eine Erleichterung, trauern zu dürfen.
Am folgenden Tag, gleich nach dem Mittagessen, fuhren Papa und ich nach Norden. In dem großen Gepäckraum lag unser Barry, in seine Decke gehüllt.
Opa Geest hatte sein Wort gehalten. Unter einem Goldregenstrauch hinter dem Hause bekam unser Barry seine letzte Ruhestätte.
Es war spät geworden. Es war schon dunkel, als wir endlich das tiefe Grab zugeschaufelt hatten.
Einen Augenblick blieben wir stehen. Ich legte meine Hand in Papas Hand. Wir sprachen kein Wort.
Wir hatten unseren besten, treuesten, liebsten Kameraden beerdigt.
Wir riefen Mama an, nur um gute Nacht zu sagen. Ein Stündchen blieben wir noch auf, ich machte Tee, und wir aßen ein paar von den Butterbroten, die Mama uns mitgegeben hatte. Wir sprachen wenig. Worte waren so überflüssig.
Aber als ich Papa einen Gutenachtkuß gab, sagte ich: „Ich bin froh über zwei Dinge, Paps. Erstens, daß Barry nie in der Heide gewesen ist. Hier ist nichts, das an ihn erinnert. Zu Hause wird es schrecklich sein, die Leere und all die Erinnerungen. Und dann bin ich froh, daß ich mitgekommen bin. Es ist doch gut, daß wir zusammen sind, Papa?“
„Ja, Lillepus, es ist gut.“
„Es wäre so furchtbar gewesen, wenn du hier ganz allein gesessen hättest, mit dem bitteren Schmerz.“
„Da irrst du dich, Elainchen. Der Schmerz ist da, aber er ist nicht bitter. Bitter ist es, wenn man einen jungen, gesunden Hund töten muß. Bitter ist es, wenn ein junger, blühender Mensch stirbt. Aber wenn ein altes Tier oder ein alter Mensch, der ein erfülltes Leben hinter sich hat, die Augen für immer schließt, dann ist es nicht bitter. Es ist traurig, und die Leere, die ein geliebtes Wesen hinterläßt, tut furchtbar weh. Aber das Sterben im hohen Alter ist richtig und natürlich.“
„Ja.“, sagte ich langsam. „Da hast du recht. Aber gerade nach einem alten Menschen oder einem lieben alten Tier ist die Leere so schrecklich, denn durch so viele Jahre haben wir eben Zeit gehabt, diesen Menschen oder dieses Tier so richtig, richtig liebzugewinnen.“
„Ja, das stimmt. So, mein Mädchen, geh nun schlafen. Wir wollen morgen rechtzeitig starten.“
„Gute Nacht, Paps. Es war ein schlimmer Tag - aber kannst du mich verstehen, wenn ich sage, daß es auch ein schöner Tag war?“ „Ja,
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