Kleiner Hund und große Liebe
Es war ein bildschöner kleiner Lakelandterrier, eine Hündin. Nun ja, bildschön - sie war jetzt strupplig und heruntergekommen, sie brauchte Pflege, aber man konnte doch erkennen, daß sie ein edles, reinrassiges Tier war.
Papa schnitt ein Stück von der Leine ab und band es an dem Lederriemen fest, den der Hund um den Hals trug. Natürlich ohne Namen und ohne Hundemarke.
„Wenn ich den Kerl zu fassen bekäme, der den Hund ausgesetzt hat, er könnte etwas erleben“, sagte Papa. Er war blaß vor Wut.
„Was machen wir nun mit dem Tier?“ fragte ich.
„Vorläufig nehmen wir es mit zum Auto und geben ihm unsere Butterbrote“, sagte Papa. „Und dann zur Polizeiwache im nächsten Dorf, dort melden wir, daß wir einen ausgesetzten Hund gefunden haben!“
Papa schraubte den Deckel auf den Kanister; ich kniete neben der Hündin. Sie sah mich an, dann winselte sie leise und leckte meine Wange. Ich legte ihr die Arme um den Hals - und plötzlich fing ich an zu weinen. Ich weinte so hemmungslos, so über alle Maßen - ich weinte meine ganze Trauer über Barry aus und all mein Mitleid mit diesem armen kleinen „Wegwerfhund“. Papa strich mir über den Rücken.
„So, Kleine. So, so. Beruhige dich, Kind. Wir nehmen unseren kleinen Findling mit.“
Die Hündin war ans Autofahren gewöhnt. Kaum hatte Papa die Tür aufgemacht, sprang sie auf den Rücksitz. Ich setzte mich zu ihr, und sie legte die Vorderpfoten auf meinen Schoß.
Bei der nächsten Ausfahrt verließen wir die Autobahn, fanden das nächste Dorf und die Polizeiwache. Ich blieb bei dem Hund im Wagen und fütterte ihn mit unseren Butterbroten. Was hatte er für einen Hunger! Papa ging in das kleine Haus mit dem Polizeischild. Er blieb nicht lange fort.
„Können wir sie mitnehmen, Papa?“
„Ja. Der Polizist schien gewisse Erfahrungen zu haben mit ausgesetzten Hunden. ,Wieder so ein Schwein’, war sein Kommentar. Und nichts wäre besser, als den Hund mitzunehmen. Er erzählte mir, was ich übrigens schon wußte, und was wir immer wieder in den Zeitungen lesen: Die Tierheime sind überfüllt mit ausgesetzten Hunden und Katzen. Nun, ich habe natürlich sicherheitshalber Namen und Adresse hinterlassen, aber der Polizist hatte ganz bestimmt recht, als er sagte, er würde seine Hand dafür ins Feuer legen, daß niemand nach dem Verbleib des Tieres fragen wird. Ja, dann also nach Hause, und das auf dem schnellsten Wege!“
„Dabei waren wir uns darüber einig, daß wir vorerst keinen neuen Hund anschaffen wollten“, sagte ich.
„Ja, siehst du, das Schicksal und der heilige Rochus wollten es anders“, sagte Papa mit einem kleinen Lächeln.
„Wer ist Rochus?“ wollte ich wissen. Ich bin nicht katholisch und weiß nicht so echt Bescheid über die verschiedenen Heiligen.
„Der Schutzheilige der Hunde“, erklärte Papa. „Das heißt, eigentlich ist er der Schutzheilige der Pestkranken, und das mit den Hunden hat er sozusagen als Nebenberuf.“
„Dann war es bestimmt der heilige Rochus, der uns dazu brachte, gerade an dem Rastplatz auszusteigen!“ meinte ich und streichelte unser kleines Findelkind.
Mama pflegt zu sagen, daß man, wenn man einen Mann wie meinen Papa hat, in puncto Tiere auf alles gefaßt sein muß. Ja, sie behauptet, sie würde nicht einmal einen Schock kriegen, falls sie eines Tages einen Wurf junger Löwen in ihrem Bett fände!
Also nahm sie es mit Fassung hin, als unser Schützling ihr als neuer Hausgenosse vorgestellt wurde. „Comme mignonne!“ sagte sie und streichelte den Hund. „Mama, warum sprichst du Französisch?“ fragte ich. „Das kann ich dir sagen“, lachte Papa. „Mamas erster Hund war auch so ein kleines struppliges Etwas, eine Hündin, die Mouche hieß. Ja, ich habe Mouche noch gekannt, weißt du noch, Bernadette?“ Mama nickte und streichelte Papa die Wange.
„Ja, das war im Wallis, und es war ganz natürlich, auch die Tiere auf französisch anzureden. Und das ist wohl in Mamas Unterbewußtsein hängengeblieben! Große Hunde spricht man auf deutsch an, und die kleinen auf französisch!“
Mama hatte einen so warmen, lieben Gesichtsausdruck. Wetten, daß meine Eltern irgendeine besonders schöne, gemeinsame Erinnerung in Verbindung mit Mouche hatten! Mama stieg auf den Boden und holte Barrys Futternapf und sein Wasserschälchen, alles, was sie weggeräumt hatte, damit wir es nicht mehr sehen sollten.
Dann öffnete sie eine übriggebliebene Dose Hundefutter, und unsere kleine Neuerwerbung ließ sich
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