Kleiner Hund und große Liebe
Aussehen! Es fuhr mir durch den Kopf: Wie war es möglich, daß jemand zu diesem entzückenden Geschöpf boshaft und gemein sein konnte?
„Prima, daß du gekommen bist, Miriam!“ sagte ich. „Ja, ich bin also Elaine, und der, der gerade versucht hat, deine Hosenbeine kaputtzukratzen, ist Bisken!“
„Das ist mir klar“, sagte Miriam. „Frau Doktor hat doch von Bisken erzählt.“
Frau Doktor? fuhr es mir durch den Kopf. Welche Frau Doktor? Dann mußte ich lachen! Frau Doktor, das war Jessica, unsere Jessica, die wir weiß Gott nie Frau Doktor genannt hatten!
Die beiden Männer der Familie erschienen nun auch. Marcus hatte Kater Anton auf der Schulter. Papa gab Miriam einen festen Händedruck und belud sich mit dem Gepäck.
„Aber Sie sollen doch nicht, Herr Grather.“, fing Miriam an.
„Ich bitte Sie, ich lasse doch eine Dame nicht tragen!“ sagte Papa und praktizierte Koffer, Reisetasche, einen Korb und einen Fotoapparat so leicht ins Haus, als wäre es ein Blumenstrauß!
„Bleibst du über Nacht, Jessica?“ fragte Mama, als wir am Kaffeetisch saßen.
„Leider nicht! Ich muß wie ein geölter Blitz wieder nach Kiel! Mein Herr und Gebieter ist schon ungeduldig, die Wohnung ist blitzblank und gestrichen und tapeziert, Falko zählt die Minuten, bis ich komme! Schnell noch einen Schluck Kaffee, dann nichts wie los!“
Mama hatte gerade noch Zeit, den Kuchen einzupacken, den sie für Jessica gebacken hatte, dann folgten sechs Umarmungen - die sechste bekam Bisken - und schon brauste Jessica wieder davon.
„Ich zeige dir dein Zimmer, Miriam“, sagte ich. „Komm mit, nein Bisken, du bleibst hier!“
„Das brauchst du gar nicht zu sagen“, erklärte mein Bruderherz. „Bisken kann ja gar keine Treppen steigen! Aber bald wird er es lernen!“
Anton konnte aber, und er blieb uns dicht auf den Fersen.
„Wirst du es nun aushalten können mit unseren beiden Viechern?“ fragte ich, als Anton als erster Miriams Zimmer betrat. Sie lächelte ihr schönes, kleines Lächeln.
„O ja. Ich mag Tiere gern. Und euer Bisken ist ja unglaublich komisch.“
„Ist er auch! Außerdem ist er die Hauptperson des Hauses! Hier, Miriam, es ist vielleicht ein bißchen eng, aber wie du siehst, hast du ein Schrankbett, das kannst du tagsüber unter dem Bücherbord verschwinden lassen - die Kommodenschubladen reichen hoffentlich für Unterwäsche und so was, und sollte der kleine Kleiderschrank dir zu eng werden, kannst du.“
„Er ist bestimmt groß genug“, sagte Miriam. Sie guckte sich um in dem kleinen Zimmer. „Wie hübsch habt ihr es doch für mich gemacht! Mit Blumen - und Obst.“
Das war so eine Gewohnheit bei Mama. Sie stellt für Gäste immer Blumen auf den Nachttisch und ein Schälchen Obst auf die Kommode.
„Das Bad ist hier“, erklärte ich. „Die Haken da sind für dich, und das linke Fach im Schrank auch, für Zahnputzsachen und so was.“
„An alles habt ihr gedacht“, sagte Miriam leise. „Wie lieb ihr seid!“
„Warte mit deinem Urteil, bis du uns näher kennengelernt hast“, meinte ich. „Kann ich dir beim Auspacken helfen?“
„Oh, danke, das mache ich schon, es geht schnell - nun ja, ein bißchen viel habe ich eingepackt, ich mußte ja auch wärmere Sachen für den Herbst und Winter mitnehmen!“
„Weißt du was? Leg die Wintersachen hier auf einen Haufen, wir bringen sie auf den Boden - wir haben selbst eine Menge Wintersachen, die meine Eltern aus Frankfurt mitgebracht haben, die müssen auch eingemottet werden. Wir nehmen deine Kleider mit, dann ist alles ein Abwasch!“
„Was hast du für nette Eltern“, sagte Miriam und legte eine Strickjacke beiseite.
„Ja, weißt du, das sagen alle! Und ich behaupte immer, ich habe sie gut gewählt! Du, ich habe beinahe so eine Strickjacke wie deine, die hat meine Oma in Norwegen mir gestrickt!“
„Ich habe keine Oma, die mir etwas stricken könnte“, sagte Miriam leise.
Ich legte die Hand auf ihren Arm.
„Ich weiß es, Miriam. Du - du tust mir schrecklich leid!“
„Weil ich keine Oma habe oder weil ich Jüdin bin?“
„Weil du weder Oma noch andere Verwandte hast! Warum solltest du mir leid tun, weil du Jüdin bist? Sollten Heine, Mendelssohn, Einstein, Bruno Walter, Kaiman und tausend andere berühmte Männer mir leid tun, weil sie Juden waren? Du liebe Zeit, wer fragt schon nach Rasse oder Abstammung?“
„Das tun viele“, sagte Miriam. „Aber denk bloß nicht, daß ich mich schäme, weil ich Jüdin bin!“ Sie
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