Kleiner Hund und große Liebe
sprach leise, aber ihre Stimme hatte einen festen Klang. „Ich bin Jüdin, und ich fühle mich als Jüdin, ich bin - ja ich bin eben rassenbewußt!“
„Prima!“ sagte ich. „Ich wünschte nur, daß du eine Oma oder am liebsten zwei hättest, und Opas und Tanten und Onkel.“
„Du weißt wahrscheinlich, warum ich sie nicht habe“, sagte Miriam. Ihre Stimme war sehr ruhig, so unheimlich ruhig wie bei einem Menschen, der sich sehr beherrscht.
„Ja, Miriam, ich weiß es. Und wenn ich daran denke, könnte ich heulen!“
„Das Heulen hilft nur so wenig“, sagte Miriam. „Glaubst du nicht, daß ich diesen Pulli lieber hier behalte und nicht einmotte? Es können ja auch im Sommer kalte Tage kommen!“
„Ja, das stimmt schon. Himmel, nun hat Anton sich auf all deinen Wintersachen niedergelassen, das sieht ihm ähnlich - komm Anton, geh rüber in mein Zimmer!“ Ich machte die Tür auf, Anton ging zielbewußt hinüber und sprang auf mein Bett. Dort kringelte er sich behaglich zusammen.
Ich war froh, daß Miriam so offen mit mir gesprochen hatte. Ich mochte sie schrecklich gern, und ihre Offenheit verriet mir, daß dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.
Ja, ich hatte das sichere Gefühl, daß Miriam und ich richtig gute Freundinnen werden konnten!
Miriams Freund
„Welches Glück, daß du da bist, Miriam!“ sagte Mama.
Miriam hatte meine Eltern gebeten, sie möchten doch ,Du’ zu ihr sagen. Was für die beiden als unformelle Norweger eine höchst natürliche Sache war. „Warum ist es ein Glück?“ fragte Miriam. Sie war jetzt drei Tage bei uns und hatte sich schon ganz gut eingelebt.
„Weil ich dir und Elaine für ein paar Tage den Haushalt überlassen muß! Ich habe mich doch von Frau Henning von der Post breitschlagen lassen und mache ihr ein Kleid für die Hochzeit des Sohnes, und die findet am kommenden Sonnabend statt! Also ziehe ich mich zurück an die Nähmaschine und überlasse euch alle Haushaltsprobleme! “
Es muß ein kompliziertes Kleid gewesen sein, denn Mama saß drei Tage am Nähtisch und an der Nähmaschine, und zwischendurch kam die Kundin zum Anprobieren. Das war immer eine langwierige Geschichte, denn die freundliche Frau Henning hatte immer tausend Dinge zu erzählen und beinahe genauso viele Fragen.
Mit Miriams Hilfe hatten wir nun endlich Ordnung im Haus. Porzellan, Gläser und Silber waren vorbildlich in Schränken und Schubladen eingeordnet; alles, was wir aus unserer Wohnung in Frankfurt hierhergebracht hatten, war vernünftig untergebracht. Die furchtbar ordentliche Miriam hatte aus eigener Initiative das Silber geputzt - wobei Bisken ihr den Putzlappen weggeschnappt, entführt und in kleine Schnipsel zerlegt hatte - und alle Gläser extra poliert. Daß Anton sich in dem offengelassenen Gläserschrank zum Schlafen hingelegt hatte, sei nur nebenbei erwähnt!
Nur wenn die Mittagszeit nahte, machte Mama eine Pause bei ihren Schneiderkünsten und kümmerte sich ums Essen. Miriam hatte offen zugegeben, daß Kochen ihre schwächste Seite war, und was meine Kochkünste betrifft, war meine liebe Familie von einem verletzenden Mißtrauen erfüllt!
Aber sonst teilten Miriam und ich uns schwesterlich alle Hausarbeiten, dabei plauderten wir fröhlich, und unsere Freundschaft wuchs von Tag zu Tag.
Als Miriam eines Tages selbst die Sekte erwähnte, in die sie unglücklicherweise geraten war, sagte ich: „Du, ich habe einmal im Fernsehen eine Sendung über solche Sekten gesehen, und ich habe auch darüber gelesen - und da wurde gesagt und geschrieben, daß es furchtbar schwer ist, sich davon zu lösen, wenn man einmal hineingeraten ist. Stimmt das?“ Miriam nickte.
„Ja, das stimmt. Ich hätte es wohl auch nicht geschafft, wenn mir nicht ein guter Freund phantastisch geholfen hätte.“
„Ja, aber Miriam, wenn du einen guten Freund hast, wie kam es dann, daß du dich so einsam fühltest, daß du.“
„Ich hatte damals keinen Freund. Ich lernte ihn später kennen.“ Miriam stellte das Bügeleisen hin und legte sorgfältig die gestickte Decke zusammen, die sie gerade gebügelt hatte. Sie war also beim Bügeln, und ich saß dabei und flickte eine Jeanshose, mit der Bisken sich ausgiebig beschäftigt hatte.
„Ja, aber. aber.“ Ich schwieg. Ich war natürlich brennend neugierig, aber aufdringlich wollte ich nun auch nicht sein. Wenn Miriam erzählen wollte, sollte sie es ohne Aufforderung tun.
Sie breitete ein neues Stück auf dem Bügelbrett aus, nahm wieder das Eisen,
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