Kleiner Musicalratgeber für Anfänger und Fortge
eine Vielzahl verschiedener Formen, die als Vorgänger des Genres Musical gelten, so wie wir es heute kennen: Jeder von uns hat zumindest schon einmal etwas von Burleske, Vaudeville, Revue und Varieté gehört. Natürlich waren all dies an für sich unterschiedliche Theaterformen, aber sie hatten auch einige Gemeinsamkeiten. Die wichtigste Gemeinsamkeit war wohl, dass sie Elemente aus Tanz, Gesang, Dialog, Pantomime, Parodie/Sketche und Artistik enthielten und vermischten. Daraus entstanden wieder neue Formen.
Und was wollte man damit erreichen? Na, ganz klar: Unterhalten, und erst einmal wirklich nur das! Sozusagen Unterhaltung um der Unterhaltung willen; es gab nämlich keine Message, die man transportieren wollte. Eine schwere Enttäuschung also für all jene, die immer nach dem tieferen Sinn suchen.
Doch kein Grund, enttäuscht zu sein, denn es ging ja noch weiter! Langsam entwickelte sich nämlich aus den oben bereits erwähnten Formen die musical comedy . Und die erzählte nun auch endlich eine richtige, einigermaßen logische Geschichte, die mit Gesang und Tanz untermalt wurde. Diverse Quellen nennen »The Black Crook« (»Der Gauner in Schwarz«) als erste musical comedy. 1 Doch für das Stück von Barras, Operti, Bickwell und Kennick war jede Menge Sitzfleisch erforderlich, denn es hatte eine Spielzeit von über fünf Stunden! Unvorstellbar also für heutige Musicalverhältnisse,wo ein Stück meist mit Pause um die drei Stunden dauert! Über die Anzahl der Toilettenbesuche während dieser Spiellänge gibt’s zwar bedauerlicherweise keine Aufzeichnungen, dafür aber ist Folgendes überliefert: »The Black Crook« wurde 1866 ziemlich erfolgreich am Broadway aufgeführt – und das nicht nur einmal, sondern ganze 475 Mal! 2
Also haben wir unser heutiges Musical primär den Amerikanern zu verdanken? Na ja, ganz so einfach können wir es uns doch nicht machen, denn es gab auch noch europäische Einflüsse, die wir nicht unter den Tisch fallen lassen wollen. Während also »The Black Crook« in den USA begeisterte, waren in London die so genannten Comic Operas äußerst beliebt. Diese stammten ursprünglich aus dem schönen Italien und waren gesungene Werke mit einem leichten, oft komischen Thema. Und, ganz wichtig: Sie hatten meistens ein Happy End! Aber es ist nicht nur so, dass Amerika Europa hinsichtlich der Entwicklung des Musicals beeinflusste, sondern auch die europäischen Comic Operas beeinflussten umgekehrt wieder das amerikanische Musical. Es fand also sozusagen eine gegenseitige Befruchtung mit Ideen und Formen statt, die zu einer ständigen Weiterentwicklung führte. Übrigens sorgten die Comic Operas in Deutschland dafür, dass sich das Singspiel entwickelte. Schon interessant zu erfahren, wie alles zusammenhängt, oder?
Jedenfalls fanden sich so auf einmal ganz viele neue Musikrichtungen und Tanzstile im Musical wieder und sorgten dafür, dass es noch bunter und vielfältiger wurde. Und das war definitiv gut so! Denn für das neu entstandene Genre gab es so gut wie keine Grenzen mehr – auch inhaltlich nicht. Klar, primär war Musical zunächst als reine Unterhaltung angelegt: Menschen in schwierigen sozialen Situationen fanden dort die Möglichkeit zur Zerstreuung. Eskapismus – auch schon damals! Und eins hat sich seit damals nicht verändert: Nichts lenkt uns besser ab als heitere Beziehungsgeschichten – selbstverständlich mit Happy End! Das erkannte auch George Gershwin und warf 1924 »Lady Be Good« auf den Markt. Drei Jahre später folgte dann das ebenso beliebte »Funny Face«.
Soweit alles klar? Halten wir fest, dass zunächst zwar Musik und Tanz viel wichtiger waren als das Thema selbst, doch dass das Thema schließlich immer mehr in den vordergrund rückte. Und schließlich (und erstmalig!) wurden in den musical plays Musik und Tanz erstmalig als Mittel zum Zweck gesehen: Sie hatten nun die Aufgabe, die Handlung vorantreiben. Glaubt man Historikern, so war das erstmalig bei »Show Boat«, einem Musical von Jerome David Kern (Musik) und Oskar Hammerstein II (Buch und Liedtexte) aus dem Jahre 1927 der Fall. Okay, auch hier geht es um eine Love Story, aber immerhin werden auch ernsthaftere Themen wie Beziehungsprobleme und Rassendiskriminierung angesprochen. Und wie das so ist, wenn es einen Vorreiter gibt, fanden danach viele Komponisten undLibrettisten den Mut, in ihren Stücken ebenfalls gesellschaftskritisch zu sein.
Was danach folgte, ist Musicalgeschichte. Mit der
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