Kleines Herz in Not
zusammenzucken. Sie hatte sich gerade die Zähne geputzt. Wer kann das so spät noch sein? dachte sie und überlegte, ob sie überhaupt öffnen sollte. Der Tag war mehr als anstrengend gewesen. Thomas und seine Mutter waren gleich nach dem Essen vom Chauffeur in der Hotellimousine abgeholt worden. Cheyenne und Davy waren noch ausgeritten und dann zu ihr nach Hause gefahren.
Dort hatten sie Tacos gegessen und ein Video angesehen. Danach hatte Cheyenne den Jungen wieder zum St. Christopher zurückgebracht. Allie übernachtete auf der Ranch.
Cheyenne sah durch den Spion. Der späte Besucher hatte ihr den Rücken zugedreht, aber sie erkannte ihn trotzdem sofort. Sie zog den Gürtel ihres Morgenmantels enger und öffnete die Tür. „Was gibt es, Thomas? Ist irgendetwas mit Davy?"
„Falsche Frage." Thomas ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer, und sie konnte seinen Zorn nur zu deutlich spüren. „Die richtige Frage lautet: Was möchte ein Mann lieber? Dass die Leute von ihm denken, er ist dumm, oder dass sie denken, er ist einfach nur Mitleid erregend?"
„Keine Ahnung."
„Dann werde ich es dir sagen. Keins von beiden." Er blickte sie finster an. „Was sollte dieses Mittagessen eigentlich? Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Ich kann es einfach nicht fassen."
Sie hatte nicht erwartet, dass er sich so darüber aufregen würde. „Ich habe Mom einfach nur gebeten, euch einzuladen. Sie hat unheimlich gern Gäste. Es ist nicht meine Idee gewesen, solch dumme Geschichten über dich zum Besten zu geben. Meine Familie übertreibt immer etwas, wenn sie ... "
„Wenn sie Mitleid hat", unterbrach er sie.
„Das wollte ich nicht sagen. Deine Mutter hat dich einfach nur so schlecht gemacht, da wollten sie dir alle ... "
„Sie wollten mir helfen. Meinst du das?"
„Ja. Sie mögen dich eben."
„Wer braucht Feinde bei solchen Freunden?"
„Das war gemein", entgegnete Cheyenne gekränkt.
„Auch nicht gemeiner, als sich über meine Mutter lustig zu machen. Ich lasse nicht zu, dass jemand sie beleidigt."
„Meine Familie hat sich nur so verhalten, weil sie dich für einen Freund hält. Wieso kannst du das nicht verstehen?"
„Wenn hier einer etwas nicht versteht, bist du es. Akzeptier endlich die Wahrheit."
„Das habe ich doch schon lange. Aber trotzdem bin ich der Meinung, dass sich Dinge und Menschen ändern können."
„Da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich werde dir jetzt auch sagen, was sich geändert hat. Davy und ich benötigen deine Dienste nicht länger."
Cheyenne hatte das Gefühl, als hätte er sie geschlagen. Alles um sie her drehte sich. Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. „Warum?" fragte sie entsetzt.
„Wir fliegen morgen nach New York zurück."
„Ihr wolltet doch noch drei Tage bleiben." Cheyenne überlegte fieberhaft. Wie konnte sie ihn zum Bleiben überreden? Er durfte nicht abreisen. Noch nicht.
„Davy braucht noch Sachen für die Schule."
„Die beginnt doch erst in vier Wochen." Was steckt bloß hinter seinem Sinneswandel? fragte sich Cheyenne verzweifelt. „Ich habe dich verärgert, und jetzt bestrafst du Davy dafür, stimmt's?"
„Nein. Es ist besser, wenn er weit weg von dir ist."
„Weil ich ihm gesagt habe, du seist dumm? Es war doch nicht so gemeint, das müsste dir doch klar sein. Aber gut, hiermit entschuldige ich mich in aller Form bei dir."
„Darum geht es nicht. Ich finde nur, dass Davy dich ein bisschen zu gern hat."
Erstaunt blickte Cheyenne ihn an. War er etwa eifersüchtig? „Er mag dich doch auch. Und zwar viel mehr als mich. Er spricht die ganze Zeit von dir und ..."
„Das ist mir egal", erwiderte Thomas kühl. „Ich möchte nur nicht, dass er sich so fest an eine Fremde bindet. Nachher macht er sich noch irgendwelche falschen Hoffnungen."
„Falsche Hoffnungen?" wiederholte Cheyenne fassungslos. Wie konnte er sie nur als Fremde bezeichnen!
„Ganz einfach. Vielleicht sieht er in dir bald so etwas wie eine Ersatzmutter. Und du weißt selbst ganz genau, dass du nie eine sein wirst. Ich finde, es ist am besten, ein für alle Mal einen Schlussstrich zu ziehen. Ich habe ihm heute Abend mitgeteilt, dass er dich nicht wieder sehen wird, und ihm auch gesagt, dass ich mich in seinem Namen von dir verabschieden werde."
In Cheyennes Augen traten Tränen, aber sie zwang sich, sie zurückzudrängen. „Ich habe gehofft, dass wir in Kontakt bleiben würden, und Davy gezeigt, wie man mit einem Faxgerät umgeht. Ich habe gedacht, gehofft ..."Ihr versagte die
Weitere Kostenlose Bücher