Kleines Lexikon der Reise-Irrtuemer
oder aufstellen. Und wo es keine Preislisten gibt, sollte man vor der Bestellung nach dem Preis fragen. Sowieso muss man in Venedig kein Insider sein, um einen Espresso für 1,50 Euro zu bekommen. Den gibt es ganz selbstverständlich abseits der Haupttouristenströme, zum Beispiel im Stadtteil Cannaregio. Und wie in vielen Orten – nicht nur in Italien – zahlen auch in den meisten venezianischen Cafés diejenigen Kunden den günstigsten Preis, die an der Theke stehen. Fürs Servieren an einen Tisch wird ein Aufpreis fällig, noch mehr kostet der Service für Gäste, die außerhalb des Cafés auf der Terrasse sitzen.
Die Hotelpreise variieren in Venedig stärker als in anderen Städten. Am günstigsten sind Übernachtungen in der kalten und feuchten Zeit, ungefähr von Mitte Oktober bis Ende März. Um bis zu 100 Prozent steigen die Tarife in angenehm warmen, aber nicht zu heißen Monaten – also von April bis Juni und von Anfang September bis etwa Mitte Oktober. Im Hochsommer, wenn die Hitze groß ist und viele Menschen Urlaub haben, liegen die Preise auf halber Strecke zwischen Minimum und Maximum, ähnlich ist es rund um Feiertage wie Silvester. Zudem erhöhen viele Hoteliers die Preise an Wochenenden und senken sie von sonntags bis donnerstags. So erklärt es sich, dass man in Venedig recht problemlos für 90 Euro pro Nacht ein schönes Doppelzimmer bekommen kann, in guter Lage, mit leckerem Frühstücksbüfett und nettem Service – genauso wie man ohne Schwierigkeiten 150 Euro ausgeben kann für eine ungepflegte Absteige mit miesepetrigem Personal und ungenießbarem Frühstück.
Die oft gehörte Aussage, Venedig sei »viel zu touristisch«, halte ich für unsinnig, denn das Hauptcharakteristikum der Lagunenstadt ist: Tourismus pur. Rund 15 Millionen Touristen kommen jährlich auf die Hauptinsel und das benachbarte Inselchen Giudecca, auf denen heute nur noch 60000 Menschen leben (Mitte des letzten Jahrhunderts waren es dreimal so viele). Wer »das echte, untouristische, italienische« Venedig entdecken möchte, kann bis zum Sankt Nimmerleinstag suchen, denn »das echte Venedig« ist touristisch und international. Italienern begegnet man hier überwiegend in ihrer Eigenschaft als Inlandstouristen – oder als Gondolieri, Vaporettofahrer, Polizisten. In Hotels, Restaurants und Cafés hingegen ist es völlig normal, von Bangladeschern, Chinesen, Pakistanern, Rumänen oder Ukrainern bedient zu werden, die freundlich, aber nicht immer fließend »Buon giorno« wünschen.
Es gibt Menschen, die nicht am Wochenende nach Venedig reisen, »weil dann so viele Touristen dort sind«. Jedoch: Von Freitag- bis Sonntagabend könnten sie – neben dem Tourismus – auch erleben, wie die Venezianer selbst ihre Stadt genießen, durch die Straßen schlendern, sich auf Plätzen treffen. Auch kenne ich Leute, die niemals ein »Menu turistico« bestellen. Diese dreigängigen, bodenständigen Menüs, die viele Restaurants anbieten, kosten um die 20 Euro. Ein noch besseres Preis-Leistungs-Verhältnis gibt es nicht in der venezianischen Gastronomie.
Meine Meinung ist: Wer nach Venedig fährt, sollte sich im Klaren sein und dazu stehen, dass er ein Tourist unter Touristen in einer Touristenstadt ist. Dann kann er sich entspannen und diesen wunderbaren Ort in vollen Zügen genießen.
VOLUNTEERING IM URLAUB IST GRUNDSÄTZLICH EINE GUTE TAT
Wenn Touristen mal eben in armen Regionen auftauchen, die Ärmel hochkrempeln und beim Bau eines Brunnens oder einer Schule mitwirken, kaum Geld ausgeben, weil sie billig oder kostenlos wohnen und essen, dazu womöglich Dankbarkeit erwarten: Dann bringt das den Einheimischen herzlich wenig. Oft ist es kontraproduktiv bis hin zur gut gemeinten Katastrophe – denn an ungelernten Hilfskräften herrscht selten Mangel. Der Besucher nimmt den Einheimischen womöglich Arbeit weg und missbraucht deren Gastfreundschaft. Das Gleiche gilt bei ungelernter Arbeit in sozialen Einrichtungen, Umwelt- und Tierschutzprojekten (Kinderbetreuung, putzen und kochen in der Krankenstation, Strandreinigung, Wildtierzählung und so weiter). Aber auch die erfolgreiche Ausübung qualifizierter Tätigkeiten in fremder Umgebung ist kaum möglich, wenn sie nur ein paar Tage oder zwei Wochen andauert und wenn weder intensive Vorbereitung noch professionelle Koordination stattfindet. Rahmenbedingungen für effektive Auslandseinsätze von Spezialisten schaffen Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Ingenieure ohne Grenzen oder
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