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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Rechnung gespannt.
     

 
    31. 5 Freitag
    Heute Nachm. habe ich den Schlüssel zum Seminar u. den Hausschlüssel an * Wengler übergeben. Ich stand vor der Thür des Seminars, hatte den Schlüssel in der Tasche u. wollte nicht selber aufschließen. Ein Diener kam, den ich nur vom Sehen kenne; er trug SA-Uniform; er drückte mir mit deutlicher Herzlichkeit die Hand u. rief dann Wengler aus dem Nebenraum.
    11. Juni Dienstag nach Pfingsten (schwere Hitze, jetzt um 9 früh 28° im Schatten.)
    Am 31. Mai ist * Heiß gestorben. Todesanzeige erschütterte mich, nicht weil ich ihn liebte, sondern weil der Mann neben mir stand, kaum 5 Jahre älter war. – Nach langer Pause (2 Jahre!) Brief von * Hatzfeld: Es gehe das Gerücht, daß ich abgesetzt sei. Ob ich wisse, weßhalb * Lerch gehen mußte? Ihm selber seien die Ordinariatsgeschäfte entzogen, die er seit * Olschkis Fortgang in Heidelberg führte. (Ich weiß nicht, ob * H., der frome Katholik, auch Nichtarier ist. Lerch ist jedenfalls ganz arisch. – Man räumt auf und unterdrückt alle Nachrichten. Nur Gerüchte. Dennoch bleibt nichts geheim).
    Keine Nachricht von * Georg. Ich bin um das Geld sehr in Sorge. Keine sonstige Nachricht. * Ulig u. * Tillich in USA. schweigen.
    Sonntag nach Tisch holten uns * Isakowitz in ihrem hübschen Auto ab, und fuhren uns zur Bastei . Wir sind jahrelang nicht dort gewesen. Landschaftlich herrlich. Ungeheuerer Auto = u. Motorradverkehr. Fast einen Kilometer vor dem Hotel mußten wir an lange Autoreihe anschließen u. warten. Wir schätzten nachher auf etwa 500 parkende Autos, doppelt so viele Motorräder. Die Aussichtspunkte schwarz von Menschen. Aber es ist wirklich schön. Wir stiegen auf einen Vorsprung der Einblick in den herrlichen Circus aus gerundeten Türmen gibt. * Eva kam gut hinauf u. hinab, aber am Abend hatte sie dann schwere Schmerzen u. hinkte. Wir müssen hier bleiben u. uns durchhungern, selbst wenn sich ein Auswärts bietet; ich kann E. nicht nicht einsperren.
    I s sind alle drei, * Vater, * Tochter, * Mutter sehr angenehme Leute, die Frau ist bemalt u zurechtgemacht wie eine babylonische Hure die ihren Verfall verbergen will, aber sie hat ein vollkomen einfaches u. zutunliches Wesen. (Den analogen Fall erlebte ich bei der * Frau Professor Driesch 1 noch krasser.) – Nach dem Basteibesuch lagerten wir am Walde u. es gab Tee. Vor der Fahrt hatten wir unser Häuschen gezeigt u. bei uns Kaffee getrunken.
    Ich kann gar nicht mehr mit der Feder u. schon ganz nett mit der Maschine schreiben. Aber das alte Museumsstück versagt gänzlich im Zeilenstellen. Bekome ich die 6 000 von * Georg, so schaffe ich wohl eine neue Maschine an.
    Mittags . Einkäufe in der Stadt. Etliche 30°. Das Zurück durch den Park Inferno u. Memento. Wie viele Jahre noch? Wie weit noch in meinen Arbeiten? Das 18. Jh., die Vita u. die Sprache der drei Revolutionen schriebe ich gar zu gerne noch. Vanitatum vanitas. 2
    Neulich ein Gendarm von der Gemeinde hier. Ob ich ein Stambuch hätte, wann ich eingebürgert sei? Ich sagte, es wachse mir beim Halse heraus. Er: Mir auch! .. Ich bin 15 Jahre im Dienst. Unter socialdem. Regierung hereingekomen. Was soll ich machen? Dann fragte er, wie es * Dember gehe. Als er hörte, daß ich jetzt auch entlassen sei, sagte der einfache Mann ganz spontan: Ja, haben sie denn jemanden, der für Ihr Amt geeignet ist, Herr Professor? Ich sah ihn bloß an. Danach schüttelten wir uns die Hände. –
    Vor einer Woche einen Abend bei * Annemarie. Sehr hübsch, u. sehr hübsch die Fahrt nach Heidenau am hellen Tage. Einen Abend bei den * * anständigen * * Köhlers. Treue Leute. Es gibt auch noch glückliche Simplicitas. Die * Mutter Köhler sagte aus tiefer Überzeugung: Es kann nicht mehr lange dauern; der gerechte Gott kann es nicht zulassen. Sie war geradezu entsetzt, als ich erwiderte, er lasse es schon ein bißchen lange zu .. * Isakowitz erzählte von dem alten Rabbiner * Dr Winter 1 von der hiesigen Gemeinde: der frome Mann zweifle neuerdings ernstlich an Gott, weil er es zulassen konnte, daß er, Winter, der Rabbiner, am Schabbes auf dem Weg zum Tempel nach Haus über einer Bananenschale ausgleiten u. ein Bein brechen durfte.
    – Ich habe angefangen, das * Montesquieu-Capitel zu schreiben; habe aber abgestoppt, um mich erst ein paar Wochen ernstlich in die Aufklärung zu versenken. Zur Zeit stecke ich im * Helvetius. 2 Auch * Lamettrie, 3 * Holbach, 4 * Condillac 5 habe ich herangeschleppt. –
    Reger Union der festen

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