Klemperer, Viktor
gegen 10 * Katz herunter – er hatte noch einmal nach * Stühler gesehen, mir graut ständig vor der ungemeinen Ansteckungsgefahr, gegen die jeder Schutz fehlt – K. also sagte mir auf der Treppe, im Westen stünde es für Deutschland schlecht, man müsse zwischen den Zeilen lesen, wir setzten uns ab, der Feind hätte sein Ziel nicht erreicht usw.
In einem Gedenkartikel für * Leichhardt, 2 einen Australienforscher, finde ich in der DAZ vom 27/9. den Satz: sein Geburtsort Trebatsch an d. Spree trägt seit dem 1. April 1938 seinen Namen. Das ist ein wesentliches u. brutales Stück LTI. Zum erstenmal stieß ich darauf, als im Heeresbericht Eidtkau auftauchte. Übrigens ist das unhistorische Umbenennen internationale Sitte oder Unsitte (seit wann?? Seit wann Oslo, 3 Irak 4 usw.? Ist es dieselbe Zeit, dieselbe Bewegung, die Leningrad, Stalingrad, 5 Istambul 6 schuf? Oder gibt es eine allgemeine Doppelbewegung, charakterisiert durch Petrograd – Leningrad 7 ?? Feststellen! Der Abschnitt der Ortsumbenennungen ist weiter zu entwickeln. Chronologische Stufen, Motivstufen. * E. sagte Zabrze – Hindenburg. 8 Das muß nach Tannenberg 9 gewesen sein. (Ich machte damals den Witz: Rixdorf – Ludendorff. 10 ) Das war nicht nur Verdeutschung sondern auch Ehrung. – Wann kam Inowrazlaw > Hohensalza? 11 Wann Sraßenumtaufungen? Wann die Auslandneuheiten? (E. erinnert an T[h]ailand, Insulinde) – Personennamen! Mein Kollege * Israel wurde zu Oesterhelt.
DAZ vom 23. XI. enthält einen Artikel von * Münchhausen: Braucht der Dichter einen Beruf? Er führt, platt aber nett, das eigentlich Selbstverständliche aus, daß der bloß lyrische Versdichter nicht 24 Stunden lang bloß dichten kann, daß er ohne berufliche Ausfüllung leicht zum Epideiktiker – ich wälzte das Lexikon, epideixis 12 Schaustellung, Prunk –, zum Wortkünstler wird, während der Berufsgebundene u. = angeregte Drangdichter bleibt. Er führt das alles mit vieler Behutsamkeit u. Reserve aus. Zu den Epideiktikern rechnet er * George u. * Rilke, Epideiktik nennt er nach Wesen u. Herkunft mehr romantisch. Die Leute verfallen der Formtüftelei, der Artistik. Alles bis zu einem gewissen Grade, u. so vorsichtig wie es Münchhausen umschränkt, richtig. Was mir an dem Artikel peinlich ist, ist zweierlei: 1) Warum muß M. das jetzt in einer Tagesztg publicieren? Die Redaction macht diese Vorbemerkung: Die gegenwärtige Erfassung aller Kräfte u. damit auch die soldatische oder arbeitsmäßige Einschaltung des Dichters u. des Schriftstellers machte ein Problem besonders zeitgemäß, das der Verf. hier anschneidet. Ich notierte vor einiger Zeit, daß M. etwas in einer Hj-Zeitschrift publiciert habe. 2) wenn er am Schluß den jungen Dichtern zur Ergreifung bürgerlicher Berufe rät (ein in allen Zeiten selbstverständlicher Rat!), gleitet er – unbewußt? kaum; wenn aber ja: noch schlimmer! – ins LTI.-Cliché: Ihr habt nicht die wirtschaftlichen Ausweichmöglichkeiten der Musiker u. Maler. Nur ein bürgerlicher Beruf gibt euerem Leben die geldliche Grundlage und gibt aber auch euerer Kunst die dauernde Verbindung mit dem Alltag u. den Volksgenossen ! Der Judadichter, 13 sollte eher Gift in den Mund nehmen als das verpestete Wort Volksgenossen.
Nachmittags . Inzwischen war ich bei * Simon – vielleicht wird die heute erneuerte Plombe länger halten, viel Zutrauen habe ich aber nicht mehr zu seiner Kunst. Obwohl ich Schuld tragen sollte. Erst hieß es: Sie haben den Speichelsauger herausgenomen, die Plombe wird naß geworden sein – aber das hätte er doch bemerken müssen! – nachher: der Zahn ist zu schlecht, er wird immer wieder wegbrechen. Jedenfalls: Wenn ich freie Arztwahl wieder erlebe, bleibe ich nicht S. s Kunde. Heute blieb ich höflich, weil wir beide momentan auf ihn angewiesen sind. D. h., * E. könnte zu einem arischen Zahnarzt, aber die sind überhäuft u. ohne Material. Auf dem Rückweg um 12 h. eilte ich mich über den Bahnkörper zu komen, denn ich fürchtete Alarm. Es blieb aber alles ruhig. –
Am Nachmittag war von 3–5 * Frau Kreisler hier, ohne Neuigkeiten .. Musiciert wurde nicht. Wir schoben die Unterlassung auf * Frau Cohns Witwentum u. unterschlugen * Stühlers Krankheit, die allmählich eine grausame Ähnlichkeit mit der des Verstorbenen erhält. Derselbe Mandelabsceß, die selbe Sepsis wahrscheinlich. Stühler behauptete immer, Cohn trachte ihm nach dem Leben. Stoff zu einer grausigen Novelle.
Im Wirtschaftsblatt der DAZ vom 23. Nov
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