Klemperer, Viktor
sehr zufrieden, wenn es heute Nacht keinen Alarm gäbe; unser Schlafzimmer ist eh schon frostig genug, u. einzuheizen getrauen wir uns nicht bei der großen Kohlennot.
27 Dez. 44. Mittwoch gegen Abend .
Heute gab es – bisher! – den unvermeidlichen Alarm in mildester Form: kellerlose 15 Minuten, während ich * Bernhard St. unterrichtete – jetzt oft seinem Wunsch entsprechend Excurse über Geschichtsbegriffe u. Epochen, aber doch immer zum Französischen zurückkehrend – von ¾ 12–12 h ungefähr. – – * E. fühlt sich recht elend, u. ich fühle mich schlecht, u. beide bedrückt uns die Unabsehbarkeit des Krieges. – Ich war heut nicht aus dem Haus, las u. las vor, der liebe * Augustin wird wohl noch in dieser Abendsitzung fertig, den * Roß habe ich beendet u. will ich nun gleich, soweit ich komme, notieren.
Colin Roß: Die ‹Westliche Hemisphäre› als Programm u. Phantom des amerikanischen
Imperialismus. Brockhaus, Leipzig 1942. Vorbemerkung: Im Ms. abgeschlossen Juli 1941. Die Artikel über * Roosevelt-Politik u. Entwicklung der Kriegsspsychose in USA seien so abgedruckt, wie sie 1933–39 in USA geschrieben worden.
I Inhaltsskizze ohne Kritik u. Excurs .
Teil I. Von ‹Amerika› zur Westlichen Hemisphäre.
1) Der Name. Schon der Name Amerika – nicht einmal Nordamerika, wie zuerst beabsichtigt! – ist Ausdruck des Machtwillens. 13 Staaten, 2 dies Stückchen Nordamerika!, legen sich den Namen des ganzen Continents, nein: zweier Continente zu, denn Panama ist Trennung, Sperrre, während Suez Brücke zweier Erdteile ist. Und man will aus den verschiedensten Völkern u. Rassen eine Nation machen, u. die Angelsachsen, die nur einen Prozentsatz des Ganzen bilden (50 % – USA) beanspruchen die ganze Herrschaft für sich; u. jetzt dehnt der nach Weltherrschaft am fanatischsten trachtende (13) Roosevelt den Anspruch durch ein, durch sein neues Wort aus: Westliche Hemisphäre ! Und dies in verlogenster Feindschaft gegen die neue Ordnung des europäischen Raumes durch das Deutschland Adolf Hitlers u. die neue Ordnung des asiatischen Raumes! Aber das * Hitlers Europa ist bereits werdende Wirklichkeit u. Roosevelts W.H. ist nur erst Programm u. Phantom!
2) Ungemeiner Anteil der Deutschen, 20 % in USA. – Französisches Canada. – Die Indianer, von den Puritanern schlimmer ausgerottet als von den Spaniern, vermehren sich neuerdings in USA u. in Südamerika! Sie sind jetzt in Mexiko polis 3 u. regierend.
Großer Anteil schwarzer Bevölkerung.
3) Die panamerikanische Idee stammt von * Simon Bolivar 1 u. wird von USA aufgenommen. Idee einer amerikanischen Nation. Über die Wechselwirkung von Raum u Rasse aufeinander wissen wir noch verhältnismäßig wenig, u. im allgemeinen sind wir geneigt, die letztere zuungunsten des ersteren zu überschätzen. 35. Theorie der Steppen- u. Flußkultur. Nomaden u. Eroberer gegen Bauern. (In Amerika gehemt, weil das Pferd fehlte, u. weil den Bauern das fruchtbar heiße Gebirgsland weiter südlich lockte). In der amerikanischen Psyche beides stimmungshaft vorhanden: Regionalismus u. Universalismus, Fürsichsein u. Pazifismus im Wechsel mit Imperialismus. Auf das Pferd folgte das Auto, in ihm drückt sich heute die Steppenhaftigkeit aus!! Bei In alledem ist den Eingewanderten gegenüber die Formkraft des amerikanischen Bodens zu spüren. 41/2 Es entsteht eine einheitliche Kultur, die als Einschmelzugsfaktor dient. (the melting pot) Der Mittelwesten, Centrum Chicago , schaffte einen amerikanischen Volkstypus. Ob aber jemals ein amerikanisches Volk entsteht? Zu weite Spannung der Rassen: Weiß, Rot, Schwarz; innerhalb Weiß: Westen u. Osten Europas, später Heraushebung der Juden . Unberechtigte Vorherrschaft des Angelsachsentums u. der englischen Sprache.
4) Die einigende Grundidee bildet die universale ‹humane› Weltidee, die an die Einheitscivilisation der Menschheit auf demokratisch-liberal istisch -parlamentarischer Grundlage glaubt 45. Die ‹Menschenrechte› wurden erstmalig in der Neuen Welt verkündet. Auf ihnen fußte die französische Revolution. Hierauf beruht die ideologische Verquickung der sogenannten westlichen Demokratien. England lieferte das demokratische Urbild, Amerika die ‹Menschenrechte› u. Frankreich ‹Freiheit, Gleichheit u. Brüderlichkeit› 45. Leidenschaftlichstes Festhalten USA s an seiner demokratischen Verfassung u. Fiktion. – Skizzierter, stellenweise brüchiger Überblick der beiden Tendenzen Regional –
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