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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Deutschland dem Europachaos hilflos gegenüberstehen, u. Europa fiele an die Bolschewisten. –
    In der gleichen Nummer, hierzu passend, rühmendste Anzeige des Buches: * Edmund Fürholzer: Menschen wie wir? Ein Amerikabuch für Europäer, Berlin 1943, Wilhelm Limpert . Nein, sie seien nicht Menschen wie wir, sondern als Puritaner, wie der Jude * Heinrich Heine schon sagte, schweinefleisch-esssende Juden. – Ich registriere noch aus dem Literaturblatt des Reiches vom 7. Januar, obwohl mir der geschwollene Inhalt teils dunkel bleibt, teils nichts sagt: Väterlicher Brief an Dietmar oder Monika (an das ungeborene Kind) von * Herbert Duckstein, gefallen am 2. Juni 44. Ich notiere, weil der Mann früher einmal als besonders guter Kriegsberichter genannt wurde, u. weil mir sein pathetischer Brief ganz un- u. antinazistisch auf Frieden, Einzelpersönlichkeit, Stille, Unrhetorik, Geistigkeit gerichtet scheint – ich unterstreiche scheint , denn wie gesagt, der Stil ist dunkel geschwollen. –
    19 h. * Stern war bei uns mit einem Dankbrief seines * Sohnes für * E. s Weihnachtsgeschenk. Der Junge ist Autoschlosser; ich bat, ihn brieflich um genaue Erklärung des Verbums spuren in der Autofachsprache zu ersuchen. Stolz des Vaters. Der trägt einen bandagierten Kopf; er ist in der Dunkelheit mit seinem Hauswirt zusammengestoßen, ist auf den Hinterkopf gefallen u. hat sich ernstlich verletzt.
     

 
    Freitag 19 h. 12. Januar 45.
     
    Zu dem gestern erwähnten * Duckstein möchte ich doch einen Zusatz machen, nachdem er auch * E. bedeutsam scheint u. nachdem ich den Artikel ein zweites mal gelesen. Die pathetische Geschwollenheit – mich an * Carossa erinnernd – bleibt, die Dunkelheit fällt fort, u. das Antinazistische der Gesinnung wird in diesen Punkten durchaus deutlich: 1) Er bezichtigt sich der Feigheit, in diesem Augenblick nicht bei der Mutter des Kindes zu sein, er sagt: Die Männer haben sich einen Pflichtbegriff in Jahrtausenden zurechtgemacht, der sie immer weiter von der Menschlichkeit entfernt hat. (Und das schreibt er aus dem Felde!) 2) Er nimmt es ernst mit dem Individualismus, jeder Einzelne ist ihm ein Einzelwesen: Ich bin mißtrauisch gegen alle Formeln, gegen alle vereinfachenden Klischees u. gegen alle Rechnungen, die glatt, allzuglatt aufzugehen scheinen. (Der Natsoc. sagt: der Jude!) 3) Menschen, die schnell mit dem Wort fertig sind u. das gesprochene so zu handhaben wissen, daß die Zuhörer geblendet davon sind, wirken auf die Dauer nur auf Unvollkommene u. Minderwertige. ( * Hitler will auf die Masse wirken, will für die Masse sprechen.) 4) Hochmut u. Unduldsamkeit sind die Kennzeichen des ungeistigen Menschen, der seine eigene, geistfremde Haltung als die allein gültige u. darum gesetzliche ansieht. (Duldsamkeit ist liberalistisch, der Natsoc. ist absolut intolerant, * Goebbels hat sogar Kunstkritik verboten!) Wie kommt dieser Mann in das Reich? Ich muß sehen, was er sonst veröffentlicht hat. – –
    Ich will doch noch einen ganz unbekannten Namen erwähnen, * Heinz Risse. 8 Der Mann bringt in der gleichen Reichnummer eine ganz kurze Novellette von erstaunlicher Originalität: Die Nacht vor Lodi. E. sagt: * kleistisch, aber das stimmt nur für die Form, der Kern, ich möchte fast sagen: die Moral der Geschichte ist ganz originell. Ein französischer Hauptmann entfernt sich um eines persönlichen Racheaktes willen in der Nacht vor Lodi verbotenerweise von der Armee, findet eine halbe Stunde nördlich eine Furt, die ihn über den Fluß zu seinem Opfer hinführt, schießt es ab u. kehrt zurück. Anderntags steht die Schlacht bei Lodi 9 entscheidungslos, weil die Franzosen die Brücke nicht nehmen können, u. ein sonstiger Übergang über die Adda unbekannt ist. Der Kapitän sagt, er wisse eine Furt, wird mit der Reiterei dort hinübergeschickt u. entscheidet die Schlacht. Man erwartet Beförderung des Mannes oder Verurteilung (à la Prinz von Homburg). Aber er ist gar nicht der Held der Geschichte. * Napoléon erfährt von der Erschießung eines Herrn in der Nacht vor Lodi, der Kapitän scheint das getan zu haben .. Napoleon mag von alledem nichts wissen, fragt auch den Kapitän nicht danach. Er vermutet, daß alles nur geschehen sei, damit er, Napoleon, bei Lodi siege. Alles um seines Schicksals willen. Er mochte ihn (den Kapitän) für ein Werkzeug halten, mit dem zu sprechen sich nicht lohnt; Werkzeuge wissen nichts Gültiges über ihre Bestimmung. Schlußwort der skizzenhaft kurzen

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