Klemperer, Viktor
Realistisch in alle Einzelheiten hinein. Der Vater Gutsherr in Wirtschafts- u. Geldabrechnung mit dem Verwalter. Jeder Gesichtszug, jede Bewegung. Seine Lieblingshündin begrüßt die Jagdmeute u. flöht ihre besonderen Freunde darunter. Ein frühverdorbener Junge hat Ringe unter den Augen, die ich (damals, als unerfahrener Elfjähriger) für Zeichen des Nichtgeschlafenhabens hielt. Usw. Das Leben auf dem Gut, Alltag, Jagd, Unterricht durch den deutschen Erzieher Somer 1836. Dann Vater u. Söhne Wolodja 13, Nikolai etwa 11 in Moscou , Geburtstag der Großmutter, Besucher, Ball, bei dem auch die Kinder tanzen – dann zurück auf das Gut an das Sterbebett der Mutter. Man spricht französisch, man tanzt u. reitet schon als Knabe, man hat deutschen Hauslehrer (der ein bisschen lächerliche u. jämmerliche Figur ist – unserer, alternd, ein bißchen rührend,[)] der der Freunde jung, elegant, ein bisschen ridicule. ) Die Fülle der Figuren. Die Mutter, gefühlvoll, musikalisch, stark verklärt. Der Vater Kavalier des 18 Jh. s, etwas tückisch pejorativ behandelt: er ist stattlich u. nicht gefühlvoll sondern sentimental , er ist egoistisch, er ist amoralisch im Sinn des 18. Jh s, er ist Spieler, er sieht – ein tückischer Meisterzug! – am Sterbebett der Gattin u. trotz seiner starken u. echten Gerührtheit die schönen weißen Unterarme der jungen Pflegerin. Die verschiedenen Besucher der Großmutter, le monde. 9 Die peinliche französische Gouvernante von Tolst s Schwester, deren zierliche Tochter. Die beiden stärkst herausgehobenen Personen, u. hier Dostojewski-Nähe u. das eigentliche Russentum: Grischa, der Narr, der frome Idiot mit den Ketten an den Beinen, den die Mutter protegiert, der Vater ablehnt, und Natalia Sawischna, die homerische Schaffnerin, 60 Jahre im Hause von den Großeltern her, Leibeigene, einmal aufs Dorf zurückgeschickt, weil sie heiraten wollte, später darüber hinaus, ganz in ihrem Dienst an der Mutter aufgehend, ihr in die Ehe folgend, den Brief der Freilassung erbittert zerreißend. Dieser Sklavin gilt das Schlußcapitel. Gilt imer wieder Tolst[ ]s Verehrung. Sie u. Grischa sind ihm die russische Seele. Ihre naive, heidni eigentlich götzendienerische aber allertiefste Frömmigkeit ist ihm Ideal u. Sehnsucht.
Frühe Sexualität spielt große Rolle. Erst, wie T. Katja, M Tochter der Französin küßt, u. sich – vom Verschlage aus Grischa, den Fromen, beobachtend, an sie schmiegt. (Höchst raffiniert!) Dann auf dem Ball in Moscou das kleine entzückende adlige Mädchen. Hier schon differenzierte Liebe; er, N., idealistisch, sinnlich-unsinnlich, Wolodja dagegen durchaus derb verliebt.
Durchweg Kinderpsychologie. Man ist grausam gegen einen armen Jungen. N. hält mit, nur zuletzt wird ihm peinlich zumute. Er fragt sich: warum sind Kinder grausam. Antwort: die mangelhafte Entwicklung der geistigen Fähigkeiten. Ein Kind geht von einem Eindruck aus. Ein Kind kann sich nicht vorstellen, daß etwas einerseits gut u. andererseits schlecht sein kann. Dieser Absatz schließt: diese Überlegung rechtfertige zwar den Autor nicht, soll aber beweisen, daß ich meine Handlungsweise bereue u. sie jetzt gerne rechtfertigen möchte. Hier ist stärkste * Confessions-Nähe. 1 (Für LTI. einerseits – andrerseits ist liberalistisch. Der Natsoc. sagt: der Jude. Cf. meine Notiz über * Duckstein 12/I) – Sehr stark paedagogisches Interesse, besonders 2 x. Die Großmutter erbittert, als eine Besu Besucherin die Rute für unentbehrlich hält. Die Mutter, in ihrem Abschiedsbrief, beschwört den Vater, ihre Söhne in kein öffentliches Institut zu geben. Dann werden sie verdorben, Reinheit u. Individualität u. Empfindsamkeit leiden. Also schwärmerisches 18ième unter dem Gesichtspunkt des besitzenden Adels.
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Ich schreibe unter kleinem Alarm, der um 13 h begann und 13 30 endete, dem ersten seit genau acht Tagen.
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Eisherz u. Edeljaspis oder die Geschichte einer glücklichen Gattenwahl. Ein Roman aus der Ming-Zeit.
Vermutlich im 17 Jh. entstanden, Verf. unbekannt, sagt der Hg. u. Übersetzer, der Sinologe * Franz Kuhn. 2 Er übersetzt glänzend, in ein vollkomen modernes, vollkomen lebendig gesprochenes Deutsch. Aber leider sind in die Geschichte, in die Höhepunkte u. an die Kapitelanfänge immer wieder Verse oder Citate in poetischer Prosa gestreut, die bald die lyrische Stimmung des komenden Stücks ausdrücken, bald wie eine Ouvertüre dessen Inhalt andeutend vorwegnehmen, bald auf
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