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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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graue Tasche mit unseren Mss u. E s Schmuck in der Hand, der alte Hut war mir entfallen. Ich stolperte u. fiel. Ein Russe hob mich auf. Seitlich war eine Wölbung, weiß Gott, welcher schon halb zerstörte Keller. Da drängte man herein. Es war heiß. Die Russen liefen in irgend einer andern Richtung weiter, ich mit ihnen. Nun stand man in einem offenen Gang, geduckt, zusamengedrängt. Vor mir lag ein unkenntlicher großer freier Platz, mitten in ihm ein ungeheurer B Trichter. Krachen, Taghelle, Einschläge. Ich dachte nichts, ich hatte nicht einmal Angst, es war bloß eine ungeheure Spannung in mir, ich glaube ich erwartete das Ende. Nach einem Augenblick kletterte ich über irgendein Gewölbe oder eine Brüstung oder Stufe ins Freie, stürzte mich in den Trichter, lag ein Weilchen platt an den Boden gedrückt, kletterte dann den Trichter aufwärts, über seinen Rand in ein Telephonhäuschen. Jemand rief: Hierher, Herr Kl.!. In dem demolierten Aborthäuschen nebenan stand * Eisenmann sen., * Schorschi auf dem Arm: Ich weiß nicht, wo meine * Frau ist – Ich weiß nicht, wo meine Frau u. die andern * * Kinder sind .. Es wird zu heiß heiß, die Holzverschalung brennt .. drüben, die Halle der Reichsbank! .. Wir rannten in eine flamenumgebene, aber fest aussehende Halle. Die Bombeneinschläge schienen für hier vorüber, aber ringsum flamte alles lichterloh. Ich konnte das Einzelne nicht unterscheiden, ich sah nur überall Flamen, hörte den Lärm des Feuers u. des Sturms, empfand die fürchterliche innere Spannung. Nach einer Weile sagte * E. 1 Wir müssen zur Elbe herunter, wir werden durchkommen. Er lief mit dem Kind auf den Schultern abwärts; nach fünf Schritten war mein Athem weg, ich konnte nicht folgen. Eine Gruppe Leute kletterte die Anlagen hinauf zur Brühl Brühlterrasse; es ging dicht an Bränden vorbei, aber oben mußte es sich kühler u. freier athmen lassen. Ich stand dann oben, im Sturmwind u. Funkenregen. Rechts und links flamten Gebäude, das Belvedere u. – wahrscheinlich – die Kunstakademie. Immer wenn der Funkenregen an einer Seite zu stark wurde, wich ich nach der andern zu aus. Im weiteren Umkreis nichts als Brände. Diesseits der Elbe besonders hervorragend als Fackel der hohe Aufbau am Pirnaischen Platz, 2 jenseits der Elbe weißglühend, taghell das Dach des Finanzministeriums. Allmählich kamen mir Gedanken. War * E. verloren, hatte sie sich retten können, hatte ich zu wenig an sie gedacht? Ich hatte die Wolldecke – eine , die andere war mir wohl mit dem Hut verloren gegangen – um Kopf u. Schultern gezogen, sie verdeckte auch den Stern, ich trug in den Händen die kostbare Tasche u. – richtig, auch den Lederhandkoffer mit E s Wollsachen, wie ich den bei all der Kletterei festgehalten habe, ist mir rätselhaft. Der Sturm riß immer wieder an meiner Decke, tat mir am Kopf weh. Es hatte zu regnen begonnen, der Boden war naß u. weich, dort mochte ich nichts hinstellen, so hatte ich schwere körperliche Anstrengung, u. das betäubte wohl u. lenkte ab. Aber zwischendurch war immer wieder als dumpfer Druck ein Gewissenstich da, was mit E. sei, warum ich nicht genug an sie dächte. Manchmal meinte ich: sie ist geschickter u. mutiger, sie wird in Sicherheit sein; manchmal: wenn sie wenigstens nicht gelitten hat! Dann wieder bloß: wenn die Nacht vorüber wäre! Einmal bat ich Leute, meine Sachen einen Moment auf ihre Kiste stellen zu dürfen, um mir die Decke zurechtziehen zu können. Einmal sprach mich ein Mann an: Sie sind doch auch Jude? Ich wohne seit gestern da in Ihrem Haus - * Loewenstamm. * Seine Frau reichte mir eine Serviette, mit der ich mein Gesicht verbinden sollte; der Verband hielt nicht, ich habe die Serviette dann als Taschentuch benutzt. Ein andermal kam ein junger Mensch an mich heran, der sich die Hosen festhielt. In gebrochenem Deutsch: Holländer, gefangen (daher ohne Hosenträger) im PPD: Ausgerissen – die andern verbrennen im Gefängnis. Es regnete, es stürmte, ich kletterte ein Stück herauf bis an die z. T. abgestürzte Brüstung der Terrasse, ich kletterte wieder herunter in Windschutz, es regnete immerfort, der Boden war glitschig, Menschengruppen standen u. saßen, das Belvedere brannte, die Kunstakademie brannte, überall in der Ferne war Feuer – ich war durchaus dumpf. Ich dachte gar nichts, es tauchten nur Fetzen auf. * Eva – warum sorge ich micht nicht ständig um sie – warum kann ich nichts im Einzelnen beobachten, sondern sehe nur immer das

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