Klemperer, Viktor
Bühnenfeuer zur Rechten u. zur Linken, die brennenden Balken u. Fetzen und Dachsparren in u. gleich über den steinernen Mauern? Dann machte mir wieder der ruhige Denkmalsmann auf der Terrasse 1 seltsamen Eindruck – wer war es? Aber die meiste Zeit stand ich wie im Halbschlaf u. wartete auf die Dämerung. Sehr spät fiel mir ein, mein Gepäck zwischen die Zweige eines Buschs zu klemmen; da da konnte ich etwas freier stehen u. meine Schutzdecke etwas besser zu zusammenhalten. (Den Lederkoffer übrigens hat doch E. gehabt; immerhin waren die Tasche u. der Rucksack beschwerend genug. Das verkrus tete tete Wundgefühl um das Auge herum, das Reiben der Decke, die Nässe wirkten auch betäubend. Ich war ohne Zeit Zeitgefühl, es dauerte endlos u. dauerte auch wieder gar nicht lange, da dämerte es. Das Brennen ging immer weiter. Rechts u. links war mir der Weg nach wie vor gesperrt – ich dachte immer: jetzt noch zu verunglücken wäre jämmerlich. Irgendein Turm glühte dunkelrot, das hohe Haus mit dem Türmchen am Pirnaischen Platze schien stürzen zu wollen – ich habe aber den Einsturz nicht gesehen –, das Ministerium drüben brannte silberblendend. Es wurde heller u. ich sah einen Menschenstrom auf der Straße an der Elbe. Aber ich getraute mich noch immer nicht herunter. Schließlich, wohl gegen 7, die Terrasse – die den Juden verbotene Terrasse – war schon ziemlich leer geworden [–] ging ich an dem immerfort brennenden Belvedere-Gehäuse vorbei u. kam an die Terrassenmauer. Eine Reihe Leute saß dort. Nach einer Minute wurde ich angerufen: E. saß unversehrt in ihrem Pelz auf dem Handkoffer. Wir begrüßten uns sehr herzlich, u. der Verlust unserer Habe war uns vollkomen gleichgültig, u. ist es uns auch heute noch. E. war in dem kritischen Moment aus dem Flur der Zeughausstr 3 von irgendjemandem buchstäblich in den arischen Luftkeller heruntergerissen worden, sie war durch das Kellerfenster auf die Straße gelangt, hatte beide Häuser 1 u. 3 in vollen Flamen gesehen, war eine Weile im Keller des Albertinums gewesen, dann durch Qualm an die Elbe gelangt, hatte hatte die weitere Nach teils elbaufwärts mich gesucht, dabei die Vernichtung des Thamhauses (also unseres gesamten Mobiliars) festgestellt, teils in einem Keller unter dem Belvedere gesessen. Einmal auf ihrem Suchweg hatte sie eine Cigarette anzünden wollen u. keine Streichhölzer gehabt; am Boden glühte ein Stück, sie wollte es benutzen – es war ein brennender Leichnam. Im ganzen hatte sich * E viel besser gehalten als ich, viel ruhiger beobachtet u. sich selber dirigiert, trotzdem ihr beim Herausklettern Bretter eines Fensterflügels an den Kopf geflogen waren. (Zum Glück war er dick u. blieb unverletzt.) Der Unterschied: sie handelte u. beobachtete, ich folgte meinem Instinkt, anderen Leuten u. sah gar nichts.
Nun war es also Mittwoch Morgen, d. 14/II, u. wir hatten das Leben gerettet u. waren beisamen.
Wir standen noch nach der ersten Begrüßung zusamen, da tauchte * Eisenmann mit * Schorschi auf. Seine andern * * * Angehörigen hatte er nicht gefunden. Er war so herunter, daß er zu weinen anfing: Gleich wird das Kind Frühstück verlangen – was soll ich ihm geben? Dann faßte er sich. Wir müßten unsere Leute zu treffen versuchen, ich müßte den Stern entfernen, so wie er den seinen schon abgemacht hätte. Darauf riss E. mit einem einem Taschenmesserchen die Stella von meinem Mantel. Dann schlug Eisenmann vor, zum jüd. Friedhof zu gehen. Der würde unversehrt sein u. Treffpunkt bilden. Er zog voran, wir verloren ihn bald aus den Augen und seitdem blieb er für uns verschwunden 1 .
Wir gingen langsam, denn ich trug nun beide Taschen, u. die Glieder schmerzten, das Ufer entlang bis über die Vogelwiese hinaus. Oben war Haus bei Haus ausgebrannte Ruine. Hier unten am Fluß, wo sich viele Menschen bewegten oder hingelagert hatten, staken im durchwühlten Boden massenhaft die leeren eckigen Hülsen der Stabbrandbomben. (Aus vielen Häusern der Straße oben schlugen immer noch Flamen.) Bisweilen lagen, klein u. im Wesentlichen ein Kleiderbündel, Tote auf den Weg gestreut. Einem war der Schädel weggerissen, der Kopf war oben eine dunkelrote Schale. Einmal lag ein Arm da mit einer bleichen nicht unschönen Hand, wie man so ein Stück in Friseur-Schaufenstern aus Wachs geformt sieht. Metallgerippe vernichteter Wagen, ausgebrannte Schuppen. Die Menschen weiter draußen hatten z. T. wohl einiges retten können, sie führten
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