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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Waldmann zusamen im Albertinum, ich hinterließ an der Mauer sozusagen meine Adresse einem neuaufgetauchten Graukopf, mit dem ich Waldmann in behaglichem Gespräch gefunden. Leuschners Schwager – Er muß doch wissen, daß Sie u. ich einen Stern getragen haben – Das ist doch jetzt ganz egal! Alle Listen sind vernichtet, die Gestapo hat anderes zu tun, u. in 14 Tagen ist sowieso alles zuende! Das war * * Waldmanns in den nächsten Tagen ständig wiederholte Überzeugung, * Loewenstamu. * Witkowsky urteilten ebenso. Der Schwager Leuschner jedenfalls blieb harmlos, ich plauderte in der Nacht noch wiederholt mit ihm u. am nächsten Morgen reichten wir uns die Hand zum Abschied. Irgendwie also hat sich E. nach einiger Zeit in dem ihr schon von früher her u. vom Beginn der Schreckensnacht her bekannten Albertinumkeller eingefunden. Das große Gebäude hatte in seinen oberen Stockwerken gebrannt, das weiß ich aber nur aus E s Bericht. Denn oben thronte unversehrt die gußeiserne Queen, 3 und der festen Kellerflucht, wahren Katakomben, zu denen von der Thoreinfahrt aus eine breite Treppe führte, merkte man nichts an. Die hohen zahlre zahlreichen elektrisch erleuchteten Räume waren sehr voll. Es war schwer auf den Bänken einen Sitzplatz zu finden. Auf dem Fußboden lagen auf Bahren oder Decken oder Betten Schwerverwundete, einige Räume waren ganz als Lazarett eingerichtet, nur von Liegenden angefüllt. Soldaten Soldaten u. Sanitäter gingen u. kamen, neue Bahren wurden hereingetragen. Dort wo ich Platz fand, etwa im mittleren Raum, lag am Boden ein furchtbar röchelnder Soldat, ein starker Kerl mit [ mit ] mächtigen Beinen u. Füßen. Jeder Vorbeigehende stolperte über seine Stiefel, der Mann in seiner tiefen Bewußtlosigkeit merkte nichts mehr. Dicht neben ihm unter Betten lagen zwei Frauen, die ich lange für tot hielt. Später begann die eine zu stöhnen u. bat mich einmal, ihr die Decke fester an den Rücken zu stopfen. In einer Ecke des Raums stand auf niedriger Estrade eine Dynamomaschine, großes Schwungrad mit Handhebel. Als * Eva kam, streckte sie sich auf dieser Estrade lang aus u. schlief viel. Ich selber wanderte viel herum, plauderte, kauerte mich zwischendurch auf ein Bankeckchen u. schlief. Ich war nach der Katastrophennacht u. nach dem reichlichen Gepäckmarsch des Vormittags so abgespannt, daß ich gar kein Zeitgefühl mehr hatte. Es war kaum später als 16 h, da schien es mir schon schon als steckten wir tief in der zweiten Nacht. Die Abspannung wurde durch Hunger verstärkt. Seit der Kaffeemahlzeit am Di. Abend hatten wir keinen Bissen erhalten. Es hieß immer, die NSV werde Verpflegung heranschaffen. Aber nichts kam. Die Sanitätssoldaten hatten Brod u. Wurst zu ihrer eigenen Verpflegung. Davon verschenkten sie einiges. Ich bettelte einen an u. brachte Eva ein Brod. Später kam eine Frau brach mit ihrer fraglos schmutzigen Hand einen Brocken von ihrer Schnitte ab u. reichte sie mir. Das Stückchen aß ich. Viel später, bestimmt schon am vorgeschrittenen Abend kam ein höherer Sanitäter, traf irgendwelche Anordnungen u. rief, jeder würde gleich etwas zu essen bekommen. Dann tauchte eine Schüssel mit weiß weißen Brodpacketen auf, in jedem Packet zwei Doppelschnitten. Aber nach den ersten Minuten hieß es: jedes Packet müssen für zwei Personen reichen. Ich teilte mit Eva. Was aber den meisten – uns merkwürdigerweise nicht – mehr fehlte als das Essen, war Getränk. Anfangs hatte man irgendwo ein wenig Tee aufgetrieben u. einzelne Schlucke verteilt. Bald gab es gar nichts, keinen Tropfen Wasser, auch nicht für die Verwundeten u. Sterbenden. Die Sanitäter klagten, sie könnten niemandem helfen. Der kräftige * Waldmann fühlte sich derart durstgequält, daß er buchstäblich verfiel. Er schlief ein, fuhr elend auf, er habe vom Trinken geträumt. Neue Sanitäter kamen. Einer setzte Waldmann die Flasche an den Mund. Ein andrer, offenbar schon Arzt, stand ein Weilchen vor dem Röchelnden. Die Lunge? fragte ich. – Gleichgültige Antwort: Ödem. Eine Weile später hörte das Röcheln auf, ein bißchen Schaum trat vor den Mund. Aber der Mann bewegte das Gesicht noch lange, ehe er still lag. Später schaffte man den Leichnam hinaus. Auf dem Hof sollten viele Tote liegen. Ich habe sie nicht gesehen, ich habe dort oben nur (wie x andere auch) mein Geschäft verrichtet. Irgendwann gingen die Lampen aus, man saß im Dunkeln, sogleich wurde gejamert: Sie sind wieder da, u. tatsächlich hörte man

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