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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Tod des kirchenfeindlichen Senats-, früher Ministerpraesidenten * Jules Ferry 5 (April 93) zum Ausdruck: er sei nach peinlichem Todeskampf gestorben. –
    1894 ist schwärmerisch von dem Dreizehnlinden- * Weber die Rede, den ich in Driburg 1915 kennen lernte 6 .
    Viel über Mission in China (immer noch!) – –
    Wenn * Ahlwardt 1893 möglich war, u. später Konitz 7 – warum wundere ich mich dann über den Natsoc.? * Agnes brachte heute irgendwoher ein paar Kamenzer Ztgen u. ein paar Nummern des Völkischen Beobachters. An allen Greueln, auch an Dresden ist durchweg der Jude schuld, u. die Vergeltung wird komen.
    Gegen Abend . Wir machten den schönsten Spaziergang nach Rosenthal , etwa 3 km östlich von hier. Den Anfang des Weges am Maidenlager vorbei sind wir schon 2 x gegangen. Eine gute, asphaltierte Landstraße, schon trocken zwischen Waldstücken sich windend. Bald Birkenwäldchen, bald dunklere Kiefer[n]abschnitte, bald hellgrüne Schonung, einmal mittelgroß, einmal in Miniatur. Dann geschlagene Lichtung. Wechselnde Fernblicke über Acker u. Wiesen hinweg auf Hügellinien. An einigen Waldstreifen bräunliche Färbung des Vorfrühlings. Sehr schön alles. Schließlich über einen Acker hinweg das Dorf sichtbar, an einer Ecke, nicht im Centrum, gedrungene Kirche mit daran gebautem Barockturm (Kuppel + Säulenumgang + Helm). In der Ferne weitere Dörfer, eines mit dem üblich spitzen Kirchturm. Wir saßen eine Weile am Acker über dem Dorf, gingen nicht hinein. Auf dem Rückweg schlossen sich uns Flüchtlinge aus Glogau an, Mutter, Tochter und Enkelkind im Kinderwagen. Sie erzählten, sie hätten einige Zeit hier in Ruhe gelebt, würden jetzt wieder evakuiert, denn Piskowitz solle Aufmarschgebiet werden. Ähnliches hatte ich schon früh beim Kaufmann gehört, u. heute Abend od. morgen früh muß * E nun beim * Bürgermeister sondieren, wie weit oder wann das uns mitbetreffen wird.
    Das Notieren, der schöne Spaziergang, das überreichliche gute Essen (faustgroße Klopse zu Mittag, Plinzu mit Honig zum Kaffee) – alles muß zur Übertäubung der gemeinen würgenden Todesangst helfen. E. ist so tapfer, da muß ich doch auch Haltung bewahren.
     

 
    Donnerstag Vorm 1. III
     
    Mildester Vorfrühling. Früh lange wach gelegen mit einem Fünkchen Hoffnung von gestern her. * Benko Rothe, der 17jährige war bei uns gewesen, ob wir drüben um 19 h hören wollten. Eine Rede von * Goebbels war angekündigt, u. wir sagten, die locke uns nicht. Darauf er: Nein, der andere spricht. Wir gingen also um 7 h hin, d.h. * Eva führte mich, z. T. buchstäblich an der Hand durch die tiefe Finsternis. Ich hatte, wie in den letzten Tagen meistens – der Schnupfen, die dumpfe Aufregung? – schwere Herzbeschwerden. Wir fanden diesmal * * Rothes allein, incl. der * Maria Scholze; später kam noch ein einzelnes Mädchen. Über den rauschenden Singsang von Störungen hinweg, getrennt durch einzelne Wort- u. Melodiefetzen aus verschiedenen Ländern, kam deutlich die Rede eines Soldatensenders, die das Parteiprogram mit den tatsächlichen Zuständen u. Leistungen verglich, dann wieder die Anklagerede eines engl. Gefangenen aus England, Ende zu machen mit dem sinnlosen Krieg u. dem verbrecherischen Regime, das Millionen Juden, Polen[] usw gemordet habe ... Ich hatte bei diesen Reden wie neulich schon (u. wie bei allen Berichten, die ich so oft davon via * Winde gehört habe), das Gefühl der absoluten Nutzlosigkeit. Millionen hören sie seit vielen Monaten u. rühren nicht den Finger. Ihr seid zu feige, um aufzuhören! hiess es in einer dieser Ansprachen. Dann kamen, bald im Störungslärm verhallend: Frontnachrichten. Marschall * Stalin meldete die Einnahme von Neu-Stettin u. Prenzlau in Pomern 1 ; die Engländer wollten in der Kölner Ebene in den letzten 24 Stunden 16 Stunden km vorgedrungen[] sein, Berlin hatte wieder schwere Bombenangriffe gehabt. Und dann war doch plötzlich * Goebbels Rede da, im krassesten Gegensatz zu den Anklagen vorhin, u. gerade an ihr schöpfte ich Hoffnung. G. sprach anders als sonst. Er verzichtete zumeist auf die rhetorische Klanggliederung u. ließ statt dessen mit starker gleichmäßiger Betonung sehr langsam die einzelnen Worte tropfen, wie Hamerschläge mit Pausen zwischen Schlag u. Schlag. Und der Inhalt war völlige Verzweiflung.
    Sportsprache auch jetzt noch: wir sind wie der Marathonläufer. 35 km liegen hinter, 7 noch vor ihm. Er ist ganz schweißbedeckt, er hat heftige Stiche, die Sonne

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