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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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sie ist von den Flüchtlingen dort eingetrieben worden, sie soll zur Schlachtung nach Kamenz gebracht werden, der * Bürgermeister hat ein Stück davon gekauft, u. nun ist unter der Herde u. in Bürgermeisters Krahl Gehöft Maul- u. Klauenseuche ausgebrochen, u. Agnes fürchtet für ihr Vieh. – Weiterer Morgengedanke: * Ich bitte nicht mehr Herr, ich fordere es: Halt mir dein heilig Wort – weh dem der lügt! 1 Aber wieso hätte gerade ich zu fordern? Y en a d autres. 2 –
    Weichstes Vorfrühlingswetter, momentan kein Regen. Aber die Straße Morast.
    * E. war früh beim Bürgermeister. Harmlos u. überhäuft wie bisher, u. in Dresden scheint noch ziemliches Chaos zu herrschen. Aber er las E. aus der Kamenzer Ztg neue Bestimmungen vor, u. eben bringt Agnes das Blatt mit Anordnungen * Mutschmanns: die Schnur zieht sich immer enger um meinen Hals, es ist kein Ausweg mehr zu finden. Und der Krieg geht geradezu erfolgreich für Deutschland weiter: überall behauptet es sich, ja gewinnt Boden zurück.
    Ich war nach dem Frühstück im Colonialladen, bekam etwas Tinte – aber sie [ist] nicht wesentlich besser als die bisher benutzte – u. etwas Clo-Papier. Eine Frau, stark ostpreußisch sprechend, klagte: sie sei aus Tilsit, sie sei hier für einige Zeit zur Ruhe gekomen, jetzt würden die Flüchtlinge heute Mittag von hier fortgeschafft, alle Evakuierten müßten fort, wahrscheinlich gehe es nach Bayern. Eine junge Person sagte: sie sei aus Görlitz, lebe hier bei ihrer Tante u. hoffe nach Görlitz zurückzukönnen, denn man würde ja wohl die Russen zurückdrängen. – All das verschlechtert unsere Lage hier, denn wir müssen in der Vereinzelung immer mehr auffallen, wir müssen in kürzester Zeit an Dresden zurückgewiesen werden.
    Ich mache meine Notizen über das würgende Gefühl der Hoffnungslosigkeit hinweg. Nur um die Zeit auszufüllen.
    * Agnes brachte gestern aus Kamenz einen Knäuel festes Garn mit, ausserdem eine Büchse mit Pech. Vom Fensterkreuz her stellte sich * Juri k einen langen gepichten Faden her u. flickte damit meinem Schuh einen neuen Riemen an. So bin ich wieder ein bißchen besser beschuht. Ich trage diese uralten flachen Schuhe (die ich früher beim Autofahren trug[)], umschichtig mit den Stiefeln feu Michaels. –
    Der kleingeratene Juri k ist ein zutunlicher nicht unbraver Junge. Merkwürdig die rohe Wollust, mit der er vom Schlachten spricht u. schlachtet, u. die Zärtlichkeit, die er an seine Katze wendet. – Bei * Marka entdecke ich nur u. ausschließlich schlechte Eigenschaften. Seltsam wie ein Kind von 7 Jahren (* 31. I 38) schon so ausgeprägt bösen Charakter zeigt: Bösartigkeit, Faulheit, Undankbarkeit, Widerwillen gegen jedes Lernen (in der Schule, zu Haus), Neid etc. –
    Gestern Abend gab es wieder Alarm. Das macht hier nichts aus, ist auch nicht immer deutlich zu hören.
    Nach Tisch 14 h . * E s Unerschütterlichkeit richtet mich immer wieder auf. Ihr an * Scherner appellierender Plan scheint mir bis zur Unmöglichkeit phantastisch; aber der Weg dorthin würde sowieso über Pirna führen, u. an Pirna knüpfe ich so etwas wie eine allerletzte Hoffnung. – –
    An der Stadt Gottes ist mir nach wie vor die * Ahlwardt-Affaire das Interessanteste. Nur ganz langsam u. widerwillig rückt diese extremst katholische Ztschr. von ihm ab. Die Monatsschau von Anfang März 93 bringt sein Bild – I cann t help, 1 das aufgeschwemte Gesicht hat Ähnlichkeit mit dem * Mutschmanns. Der Artikel über seine Wahl in den Reichstag aus dem Gefängnis heraus ist vorsichtig sympathisierend gehalten. Er habe wohl bona fide gehandelt, zahlreiche conservative u. christliche Leute wollten ihm wohl, während Juden u. Judenfreunde in ihm einen Ausbund von Bosheit u. Verleumdungssucht sehen. Wenn ihn im Reichstag * E. Richter angreift, so wundert man sich, daß R. nie mit gleicher Leidenschaft gegen semitische Sünder spricht. Danach wird A. vom * Kanzler 2 u. Kriegsminister abgefertigt, schließlich verwirft eine Comission, in der das Centrum wesentliche Plätze hat, seine Akten. Da bedauert die Ztschr A s bodenlose Leichtfertigkeit mit der er der Sache geschadet habe, der er nutzen wollte. – – Entsprechend: im April 93 werden Freisinnige u Sozdem. als Judenknechte bezeichnet. – Ein Jubiläumsartikel über * Mommsen 3 u. * Virchow 4 schließt mit dem Satz, es sei merkwürdig, daß beide, besonders Virchow, für das Judentum einträten. – –
    Der reine Klerikalismus komt in einer Notiz über den

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