Klemperer, Viktor
ein, was die Frau auf dem Bhf (die uns * * Scherners Adresse gegeben) erzählt hatte: in der letzten Luftschutzübung sei ihnen gesagt worden, wenn der Alarm eine ganze Viertelstunde ununterbrochen gegeben werde, so bedeute das Gasalarm . Ein Gasangriff der Deutschen würde aber sofort die Vergasung Deutschlands nach sich ziehen. Nun also, sagte Frau Kr., worauf soll man da hoffen? Ich: vielleicht finde kome es man doch vorher zum Kriegsschluß, im übrigen müsse man Fatalist sein. Kr s erzählten noch eine förmliche Kinoscene. Sie mußten Oppeln ganz plötzlich räumen, nachdem man ihnen vorher erklärt hatte, es bestehe keine Gefahr. Sie erwarteten ihre * Tochter, eine Apothek stud. pharm.[,] von auswärts. Das Mädchen komt mit dem Zug an. Der Bahnhof ohne Leben. Die Straßen leer. Ihr Elternhaus leer. Man sieht das als Filmscene. * E. sagt: vorher Traum der Eingenickten: der übliche Ferienempfang. – Wieder war es beim Ablauf des Besuches (vor Krömers war irgend eine Dame mit Töchterchen dagewesen, vor der * Omi tags zuvor irgend ein alter schlesischer Medizinalrat – es ist da unten immer Komen u. Gehen u. Initimität u. Geschäft zwischendurch ..) wieder also war es nun 8 Uhr u. Scherners zogen nachhaus u. wir übertäubten den ärgsten Hunger, ich machte noch ein paar Tgb.-Notizen u. E. studierte faute de mieux ein Berufsbuch für Apothekenhelferinnen. (Im Privatcontor hat Sch. nur seine Fachbibliothek). Um ¼ 10 wollten wir uns hinlegen, da kam Vollalarm u. dauerte anderthalb Stunden.
Die Marienapotheke ist in einem festen stattlichen Haus untergebracht, rote Backsteinmauern, zwei Stockwerke über dem Erdgeschoß, das Treppenhaus hat starke steinerne Bogen. Unter diesen Bogen, zu denen die Tür des Laborraums führt, dürfte man – da der Keller unbrauchbar – den relativ besten Schutz haben. Wir pflanzten uns also mit unserm Gepäck an dieser Tür auf, blieben aber im warmen Labor. Dort hinunter kam auch mit ihrem Kofferchen die diensttuende Apothekerin, ein Fräulein * Rüdiger aus Zwickau. Leider kannte sie ziemlich viele Leute in Dresden, u. ich redete ein bißchen viel von meinen Privatdingen. Das dunkle Summen eines Geschwaders zog vorüber, u. sonst blieb es still; aber wenn es das Schicksal will, könnte doch gerade dieser Alarm meinen Tod veranlaßt haben. Aber was hilft jetzt Angst haben, was hilft Vorsicht? Der Tod lauert überall, vielleicht für auf mich ein bisschen intensiver, jedenfalls in noch einer Gestalt mehr als auf die Millionen anderen. Frl. Rüdiger machte keinen schlechten Eindruck auf uns. Sie klagte nur über den Dienst hier: die Apotheke sei für den jetzigen Riesenandrang zu klein, * Scherner durch sein Leiden verhindert aktiv mitzuarbeiten, dabei überall als Aufpasser eifersüchtig dabei .. Heute nun hörten wir die andere Seite: Scherners klagen erbittert über diese Apothekerin, die wenig leiste, verwöhnt sei, die man aus den Lumpen schütteln müsse, etc. etc.
Nachmittags Eine besondere Erschwerung der Lage bedeutet für uns das Wetter, genauer die Bodenbeschaffenheit. Viel Schnee, Nachts Frost, mittags heftiges Tauen, Matsch u. halsbrecherische Glätte. Dabei der Zustand unseres Schuhzeugs. Wir schleichen mit äußerster Vorsicht, sind so wenig als möglich draußen u. frieren u. hungern im Nachtdienstzimmer. Von Ort u. Umgebung ist auf diese Weise wenig Kenntnis zu erwerben. Ich habe den Eindruck einer besonderen Schmalheit: rechts u. links der Hauptader sehen die verschneiten Hügel dem Städtchen durch die spärlichen Rippen. Im Straßenzug allerlei Schlittenverkehr, es gibt auch irgendeinen schweren Fernautobus mit Anhänger. Heute standen am Rathausplatz, aber nicht vor dem roten Rathausgebäude selber sondern vor dem Haus der NSDAP Treckwagen aus Sprottau, einer überdacht wie eine Arche Noae. –
Am Morgen erzählte * Ullmännchen, ein hübsches freundliches blondes Mädchen, ganz jung, Helferin, das als Scherners Führerin fungiert, u. vor dem wir gewarnt sind – sehr brav, aber ganz nazistisch erzogen, sie weiß es nicht anders, sie kann nichts dafür – Ullmännchen also erzählte, die Engländer hätten eine rechtsrheinische Stadt genomen, 1 sie wisse den Namen nicht mehr, aber es sei bestimmt eine rechts rheinische. Als ich sehr entsetzt tat, wurde sie ängstlich, vielleicht habe sie sich doch geirrt, vielleicht sei es eine Faschmeldung, es solle ja doch einen feindlichen Soldatensender geben, der solche Dinge verbreite, ob ich davon schon gehört
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