Klemperer, Viktor
bestimmt in den Vorstädten von Köln. Forse chè sì, forse chè nò 6 ..
Freitag 9. März 45 Falkenstein
Morgens nach 7 h . In der Laborküche rasiert u. fertig gemacht. * E klatscht sich im Zwischenraum Lade Laden – Privatcontor. Sie packt dann hier unten zusamen, wir frühstücken noch hier, u. um 8, wenn * Scherner erscheint, ziehen wir nach oben. Schon gewohnt.
Aber neue würgende Besorgnis. Wenn wir gegen Abend herunterkomen ist ein Haufen Leute hier. Mit allen ist Sch. intim, allen stellt er uns gleich vor. Herr u. Frau Professor Kl. hier u. dort u. überall, in aller Munde. Gewiß, Freunde, harmlose Leute. Gestern bot mir eine dicke Frau ein Paar Wollstrümpfe an; ich lehnte ab, da warf sie im Weggehn Eva zwei Leichenfinger-Käse auf die Handtasche, damit Sie nicht so sehr hungern! Aber all diese Harmlosen haben Verwandtschaft, Freundschaft, alle Connex mit Dresden. Sodann u. tausendmal schlimmer: gestern haben wir unsere polizeiliche Abmel Anmeldung, von Scherner u. dem Hauswirt (der ADCA 7 ) unterschrieben, abgegeben. Victor Kl. em. Prof aus Dresden. Es gibt natürlich auch hier Gestapo.
Und natürlich wird sie doch den Zuzug controllieren. Was weiß sie, wen sucht sie? Kl ist ein seltener u. bekannter Judenname. (Die * Bank- * Kl.s 1 ) Es ist ein entsetzliches Gefühl.
Vorm. 9 h . Die Anmeldung ist noch nicht abgegeben, noch nicht vom Wirt unterzeichnet. Der Wirt (ADCA-Filialleiter) ist E. unheimlich, auch hält sie ihn, da wir nur Besucher , nicht Mieter sind, für unnötig. Sie will zu inhibieren suchen. Aber was dann weiter? Gar nicht abgeben? Verschleiernd ändern? Alles ist unendlich erschwert durch Scherners doppeltes Nichtverstehen. Einmal ist er ahnungslos u. begreift nicht die Schwierigkeit unserer Lage (u zu ängstlich u. befangen machen dürfen wir ihn nicht); zum andern ist er überaus schwerhörig, man muß zu ihm brüllen. Wir denken an weitere Flucht – aber wohin? Die * * Burkhardts in Schweitenkirchen kennen uns nicht, die Reise dorthin, selbst wenn sie uns gestattet würde, wäre eine tötliche nächtelange Strapaze – u. dann werden wir alles überfüllt finden von Münchener u. Nürnberger Ausgebombten. – Hier geduckt bleiben bei unterschlagener Meldung? Dazu müßte man wissen, wie lange noch .. In den Leipziger N. N. 2 vom 7/III ein Lagebericht um die Rheinlinie könnte in seiner Düsternis Hoffnung geben. Die erste Phase der Entscheidungsschlacht, das linke Rheinufer (ergo der Westwall) sei verloren, der Feind werde jetzt den Übergang erzwingen wollen: das legt unserem Westheer für die neue Pha Phase erhöhte Verpflichtungen auf. Punktum, kein Trostwort. Dem steht aber gegenüber, daß die Russen in Schlesien stocken, daß Lauban von den Deutschen zurückgenomen ist. Also kann es noch Wochen, vielleicht Monate dauern. Für uns aber ist jeder Tag Gefahrerhöhung. Der Druck ist fast unerträglich. –
Mit * Scherner, der im Lauf des Tages wiederholt heraufkomt, mit Pelzmütze u. Stock im weißen Mantel, schleichend, schwankend, eine Bühnenfigur, geplaudert, so gut es ging. Er versteht * Eva immer noch besser als mich, den die immerfort wütende Erkältung auch für normal Hörende fast unverständlich macht. Er habe sich, wie ich das voraussetzte, mit der katholischen Kirche ausgesöhnt. Die Protestanten: dumme Kerle, nichts als * Kantische Philosophie, u. die Aufklärung – Früher habe ich alles mit dem Verstand begreifen, erklären wollen. Jetzt sage ich mir: was ich verstehen, was ich mir erklären kann, das brauche ich erst gar nicht zu wissen! So wird man Katholik oder Nationalsocialist, und so wird man beneidenswert glücklich. Und so nimmt man alles Elend, die eigene Krüppelhaftigkeit u. die umgebende Hölle von Mord u. Verbrechen leicht. – Ich wollte auch von seiner Vortragsgruppe mehr wissen. Ja, man hätte reihum beieinander gegessen u. zwanglose Vorträge gehalten. Jetzt wo man sich nichts zu essen anzubieten vermöge, ruhe die Sache natürlich; aber man hoffe doch auf Später. Worüber er selber gesprochen habe? Ich bin doch Germanist, ich habe über * Walter von der Vogelweide 3 geredet. Also patriotische Angleichung an die Situation, seinem Beitritt zur Partei entsprechend u. seiner freundschaftlichen Beurteilung * Harmsens. Dabei erklärt er im gleichen Athemzug, daß ihm jeder Nationalismus dumm u. eng vorkome, u. daß er seelenruhig als tschechischer Staatsangehöriger weiterleben würde. Jesuitismus? Ich glaube nicht. Eher
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