Klemperer, Viktor
für alle, für eine ganze Welt gezeugt hat 565. Es soll den Unterschied zwischen Rechtsfall u. Menschenfall 565 beleuchten. Aber diese Menschen, die als Typen gedacht sind, sind durchweg Psychopathen, Sexualpsychopathen, der Menschenfall wird in den klinischen Fall verschoben. Hier liegt W s peinlichste Zeitgebundenheit. (Das widerliche, oft ganz unnötige Wühlen im Sexuellen, besonders auch das Heranziehen der männlichen Homosexualität, ist mir das Abstoßende an ihm.) Als weitere Diminutio 5 komt hinzu, daß dieser klinische Fall trotz aller vielfachen Beleuchtung dunkel bleibt; schließlich auch noch die Unglaubwürdigkeit des Todesurteils bei einem so fragwürdigen Indizienbeweis: die Waffe ist nicht gefunden worden, der Angeklagte leugnet beharrlich, der Hauptbelastungszeuge ist ganz offenkundig befangen, die Möglichkeit eines anderen Sachverhalts ist durchaus gegeben u. muß sich jedem Fachmann aufdrängen.
Inhalt des Prozesses: Der Privatdozent Leonhart Maurizius hat seine Frau Elli erschossen, wird behauptet. Sie ist über 40, er Mitte 20, hat er sie wegen ihres Geldes geheiratet, oder weil er in seinem labilen Wesen an der sittlich u. seelisch Ausgeglichenen Halt sucht? Die Ehe ist erst gut. Dann treten auf Ellis 19jährige Schwester, bildschön (u. hysterisch), u. ihr genial-dämonisch-undurchsichtiger Freund Waremme. Hier die ungeklärten, auch am Buchende ungeklärten Dunkelheiten. Welches ist das Verhältnis Annas zu Waremme? Ist sie ihm hörig? Hat er sie wirklich ‹vergewaltigt›? Welches ist das Verhältnis Waremmes zu Leonhart? Ist Maurizius ihm geistig hörig? Wie kann er W s Freund bleiben, wenn er Anna liebt u. von W. selber den Bericht über die Vergewaltigung hört? Welches ist Annas Verhältnis zu Leonhart? Wie weit erwidert sie seine Leidenschaft, aus welchen Gründen – Waremme? Die Schwester? Katholizismus? Allgemeine Hysterie? – aus welchen Gründen verweigert sie sich ihm? Klar ist nur die verzweifelte Eifersucht Ellis, klar nur die Leidenschaft Leonharts. Ganz dunkel auch dies: wieso vertraut Leonhart der Johanna die Sorge für sein vor- u. uneheliches Kind an? All das bleibt bis zuletzt wirr .. Elli wird erschossen, Johanna u. Waremma waren in nächster Nähe, Waremma sagt aus, er habe gesehen, daß L. geschossen habe. Leonhart verweigert jede Aussage u. leugnet die Tat. – Wenn dann nach 18 Jahren Zuchthaus Leonhart spricht – wieso jetzt doch? – u. begnadigt wird, wenn er mit 45 Jahren die Freiheit erlangt, wieso muß alles, absolut alles gegen ihn schlagen u. ihn zum Selbstmord treiben? Man verweigert ihm jede Verbindung mit seiner unehelichen Tochter, u. er fügt sich darein; sein Vater, der für ihn all die Jahre gekämpft u. gesorgt hat, stirbt prompt, Anna ist verheiratet, hat Kinder, will nichts mehr von ihm wissen, ist nach Verlust der Jugend dum, vollkomen dumm u. inhaltlos, auch ohne jede Gewissensregung – sie, die Schwestermörderin, die einen unschuldigen Menschen zum Tode hat verurteilen lassen, u. das als frome Katholikin!! Psychologisch eine stupende Unmöglichkeit – – u. schließlich, wenn er eine tröstende Freundin findet, sieht er sich durch die 18 Zuchthausjahe um seine Potenz gebracht u. dadurch isoliert – wieder das Wühlen im Sexuellen! Worauf er Selbstmord verübt. Womit eigentlich angedeutet ist, daß der Fall Maurizius, die Befreiung oder Nichtbefreiung des Mannes, an sich gleichgültig ist.
Der im Kern unwesentlichen, wirren Kriminalaffaire stehen aber ungemeine Werte gegenüber.
1) Vater u. Sohn Andergast. Sie sind die eigentlichen Helden, ihr Gewissenskampf ist der eigentliche Inhalt. Kampf in jedem von ihnen u. zwischen ihnen beiden. Der Vater, Baron v. Andergast in Frankfurt a/M., Oberstaatsanwalt. Er hat vor 18 Jahren Maurizius verurteilen lassen, überzeugter Jurist, kalt seiner selbst u. der herrschenden Institutionen sicher,. Er hat mit gleicher Kälte u. Starrheit an seiner Frau gehandelt. Sie in den Ehebruch getrieben , dann den Ehebrecher in den Tod getrieben –, danach die Frau exiliert u. von ihrem 6jährigen Sohn getrennt. Er hat den Jungen in Starrheit u. Kälte erzogen, er ist für Etzel Trisme Trismegistos, 1 der Eiskoloß .. Vom alten Maurizius zur Wiederaufnahme des Prozesses oder Begnadigung gedrängt, bleibt er starr. – Aber nun stößt Etzel auf den Fall. Der erleuchtete Zwerg, erblich belastet mit dem juristischen Scharfsinn u. Spürsinn des Vaters, mit der väterlichen Intelligenz, Consequenz,
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