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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Staatsstrasse über. Hier lag eine Shell-Grosstankstelle, Art eleganter Karavanserei, mit hübschem Warteraum, Toiletten, schönstem Fernblick, vielem Kartenmaterial zum freien Mitnehmen, höflichster Bedienung. Sehr hübsch sind diese grossen Tankplätze; * Dickenssche Postromantik in modernster Form. Wir nahmen Benzin (und Karten), liessen den Wagen nachsehen. Der Tankwart fuhr ihn einmal um die Schleife, kroch dann herunter und machte ein ernstes Gesicht: am Cardan waren drei Schrauben abgesprungen, die Welle hing lose; wenn sie den Boden berührte, waren wir erledigt. Im nächsten Dorf würden wir eine Werkstatt finden: vorsichtig dorthin! Wir kamen nach ein paar angstvollen Kilometern nach Mittelbach und fanden in einem Gehöft eine saubere und grosse Werkstatt und einen sehr vertrauenerweckenden älteren Autofachschlosser. Er nahm den Wagen []über die Grube, feilte die nötigen Schrauben zurecht, setzte sie sorgfältig ein. Mit einer guten Stunde Zeitverlust und 3,50 Mark war der Schaden behoben. Wir sassen erst bei der Werkstatt, suchten dann ein Gasthaus auf, in dem ein halbes Dutzend schwarzer Wolfshunde auftauchten – es war hier ein Treffen der Hundezüchter gewesen. * Eva nahm eine Suppe ich einen Kümmel; ich ging dann zur Werkstatt zurück und holte den fertigen Wagen, Mittelbach ist ein unendlich langes städtisches Dorf, mir fielen zwei Autoreparaturen und eine Dr. med dent.-Zahnärztin auf, auch eine Autoposthaltestelle. Nach drei Uhr startbereit zu den letzten 60 km., um ½ 5 in der grossen Kleinstadt Falkenstein. Wir fragten einen Schutzmann nach der Marienapotheke. Antwort, er wolle uns nicht Angst machen, aber er glaube, er habe den * Herrn Doctor fortfahren sehen. In der
    Apotheke eine freundliche und interessierte Gehilfin; * * Sch[. ]s seien eben im Mietauto fort, wollten in einer Stunde zurück sein, sie werde telephonische Verbindung suchen, wir sollten ins Café Meyer, das elegante Lokal am andern Ende der Stadt. Ich fürchtete Nachtfahrt – aber bis gegen 6 wollten wir doch warten. Also wieder die Hauptstrasse zurück, den Wagen um die Ecke in die Nähe der Concurrenz, der andern Apotheke gestellt und ins Café Meyer. Ein grausiger Ort. Überheizt, überfüllt, niedrig, ungelüftet, laut und mit einer Caffeejauche dienend, der selbst unser mitgenommener Extrakt nicht helfen konnte. Wir wurden bald flüchtig. Gegenüber eine hübsche Anlage: ein Burgrest, Felsstück mit Mauerwerk, oben ein Stückchen Park, ein Heimatmuseum. Blick über die Hochebene, ganz fern Waldhügel. Und wiegesagt: Kälte und Flieder in Knospe. Zurück zur Marienapotheke. Beschluss, noch ein paar anrollende Wagen abzuwarten, noch einen, noch fünf Minuten usw. Dann, als wir wirklich fortwollten, kam die Gehilfin, Sch. s hätten telephoniert, sie seien in einer Viertelstunde da, wir sollten durchaus warten.
    Endlich kamen sie, sehr dick, überherzlich, von ihrem jugendlichen Dackel umheult, der sich uns ebenso herzlich gesinnt zeigte wie sie. Wir mussten erzählen – * Muttchen hatte uns beim Fortfahren gesehen, mich erkannt, da sie aber von unserm Wagen nichts wusste, an Täuschung und Doppelgänger geglaubt. Wir mussten die ganze Apotheke besichtigen, sie ist ungemein und allzu elegant in allen Punkten ausgestattet, eine Musteranlage, die ihn unrentabel mit 100 000 M. Schulden belastet. Wir mussten dann noch in die Privatwohnung, wieder am andern Stadtende, auch sie überelegant, aber wenig benutzt, da beide Leute tagüber an den Laden gebunden sind. Im Contor der Apotheke wie im Repraesentationszimmer der Wohnung hängen pflichtgemäss die Bilder * Hindenburgs und * Hitlers. Wir wurden mit einer Flasche Wermut, mit Wurst und Brod beschenkt, alles ging sehr herzlich, sehr rasch, sehr anstrengend und comprimiert vor sich. Es war doch schon ½ 8, als wir abfuhren, und lange vor Chemnitz kamen wir schon in die Dunkelheit. In Ch. um 10 Uhr grosses Treiben, viele Laternen, aber doch keine Wegweiser erkennbar. Wir verirrten uns völlig, fragten schliesslich einen Arbeiter nach der Richtung Dresden. Genau am ander[n] Stadtende, er müsse selbst dorthin. Ich nahm ihn als Piloten mit – es war ein Glück für mich. An einer Strassenkreuzung will ein Motorfahrer ganz vorschriftswidrig an mir vorüber, wird von der Stossstange erfasst und stürzt mit schwerem Krachen. Ich pariere den Wagen, sofort ein Auflauf. Ein alter Mann: Das kommt von Ihrem Scheinwerfer! Ich zeige, wie der Scheinwerfer leuchtet, und dass ich Fahrlampe

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