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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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werden, und sind dann, um Luft zu schöpfen zwischen 7 und 9 nach Kesselsdorf gefahren. Nach einem furchtbar schwülen Tage mit vieler Cementierarbeit, an der ich etliche Stunden mitbeschäftigt war.
    Für heute ist ein bescheidener Ausflug ins Müglitzthal geplant; zum 29. Juni schenken wir uns das neue Rad und einen Kinobesuch. Wir wollen am Essen und der Aufwartung sparen, um das Auto behalten zu können.
    Seit etwa einer Woche Emile. 2 Alles sieht anders aus, wenn man es selber liest. Sympathischer wird mir * Rousseau nicht, aber interessanter.
     

 
    Donnerstag, 2. Juli
    Am Sonntag Nachmittag fuhren wir in das seiner Curven und offenen Bahnübergänge wegen gefürchtete Müglitzthal. Es gefällt mi[r] weniger als das Kipsdorfer Thal 1 und ich kann nicht im einzelnen definieren, woran das liegt. Mir scheint trotz der Wildheit der Müglitz die Landschaft weniger ausgesprochen. Erst in der Nähe von Heidenau ist sie parkartig; später nach Glashütte zu wird sie wohl natürlicher, aber ich vermisse bestimmende Züge; es ist nicht gerade, was der Berliner Jejend nennt, aber es ist blos so Landschaft. Am Sonntag übrigens fuhren wir nicht so weit, sondern bogen nach einiger Zeit ab, zu dem Städtchen Liebstadt, dann in grosser Steigung auf reifenmörderischer Strasse nach dem grossen Dorf Burkhardtswalde, von da über Pirna zurück. Über Liebstadt liegt ein eigentümliches kleines und gedrungenes, dabei doch zierliches Schloss: Kuckuckstein. Es besteht eigentlich aus einem klobig eckigen Turm, der durch vier aufgesetzte Spitztürmchen verniedlicht ist, und an den ein Kasten in Würfelform angeklebt ist. Auf halbem Weg nach Burkhardtswalde bekommt man einen prachtvollen Blick, ein ganz componiertes Gemälde. Man sieht auf ein langgestrecktes tief eingesenktes Waldthal, über dessen Eingang seitlich dieses Turmschloss gesetzt, und das durch einen höheren Bergzug gegen die Weite abgeriegelt ist. Es kommt immer darauf hinaus, das mir von längeren Fahrten durch gleichartig wechselvolle Landschaft ausser dem allgemeinen Eindruck ein Einzelbild bleibt: der Elbstreifen unterhalb Meißens, die Burg Rochlitz, der B[ i ]lick vom Oybin auf Zittau und die Ebene. So hier dieser Blick in das Waldthal mit dem Schloss Kuckuckstein. Es war vielleicht das schönste Landschaftsbild, das uns die Autofahrten bisher eingebracht haben. Die Ränder der Raststelle, Abhang und Felswand, waren mit Blütenstr[äu]chern und Blumen, Heckenrosen, Spiräen etc. ungemein üppig bewachsen. * E. grub mit blosser Hand ganze Spiräensträucher für ihre Waldecke aus und verbarg sie unter einer Wagen[d]ecke. – Dies waren unsere nun schon sonntagsüblichen 80 km.
    Montag den 29. verbrachten wir bei grosser Hitze still zu Hause. Eva im Garten, ich, so gut es ging beim * Emile. Aber ein paar Seiten meines Tagebuchs von 1904 2 musste ich mir doch ansehen. Es will mir so gar nicht in den Kopf, dass ich schon so alt bin. – Den Abend wollten wir ruhig im Kino verbringen.
    Aber am Nachmittag erschien zu Besuch die letzte und intelligenteste unserer Wendinnen, * Anna, 3 die jetzt eine Stelle in Bautzen hat und mehrere Jahre nicht hier war, mit ihrem * Bruder Tischler. Es ist hübsch, wie diese Mädchen Treue halten. Die Wenden sind alle gut katholisch, und also ist eine tröstliche Gemeinsamkeit der politischen Verzweiflung gegeben.
    Sodann war antelephoniert worden, dass * * Gusti und Karl W. seit ein paar Stunden im Land seien; wir sollten zum Abendkaffee zu ihnen [k]ommen.
     

 
    5. Juli.
    Seit dem Februar waren wir mit * * W.s nicht zusammen – * Karl in Göttingen, * G. in Kopenhagen – aber nichts an Situation, Gesprächen Herzlichkeit hatte sich verändert, es war, als hätten wir gestern das letzte Mal beisammengesessen. In K. hatte G. den Schriftsteller * Federn 4 aufgesucht, dessen schön illustrierten, sonst wertlosen * Dante * Vater mir vor etlichen dreissig Jahren geschenkt hat, mit dem Bemerken, wir seien irgendwie mit Federn verwandt. Der alte Herr schickte mir die Adresse einer Londoner Agentur, Curtis Brown Ltd., sie würde bestimmt meine Lit.-Gesch an einen ausländischen Verlag bringen. Ich schrieb ausführlich hin und erhielt heute umgehend Antwort: ...too specialised 5 ... afraid there is nothing we can do to help you. 6 Das hat mich recht sehr und doppelt mitgenommen. Einmal: es wird mir immer schwerer, so hoffnungslos und nur für den Schreibtisch zu arbeiten; ich habe nicht die Zuversicht, dass diese Bücher ungedruckt und

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