Klemperer, Viktor
meisten Artikeln: []Des * Führers Geburtstag. Im Dresdener Anzeiger oder den Dr. N. soll gestanden haben Führers Geburtstag. Die Dresdener N. N. brachten einen Artikel, vielmehr eine religiöse Betrachtung von einem gewissen * Kilian Koll, der nach Form und Inhalt haargenau auf * Jeanne D Arc 1 gepasst hätte. Ich habe ihn aufbewahrt. 2 – Ein immer wiederkehrendes Wort: Erleben. Wenn irgend ein Gauleiter oder SS-Führer, irgend einer der kleinen und kleinsten Untergötter spricht, so hört man nicht seine Rede, sondern erlebt sie. * Eva sagt mit Recht, das war schon vor dem Nationalsoc. da. Gewiss, es ist in den Strömungen zu finden, die ihn schufen.
* Sussmann fragt in einem merkwürdigen Brief nach meiner Sprachstudie. Ich schrieb, ihr Motto werde lauten: In lingua veritas. 3 Meine ganze Antwort liegt hier bei. S. ist unter die Gläubigen gegangen und fragt nach meiner Stellungnahme. S Fall ist dreifach symptomatisch: gläubig im Alter, in Unglück und Einsamkeit, und wohl auch erfasst von der Zeitströmung.
Sussmann schickte mir den berühmten Hitler-Markenblock, in seiner Exaktheit gezähnt und ungezähnt.
Eine psychologisch verständliche aber saudumme Wirkung, wie sie ähnlich schon durch * Georgs Geldgeschenk im Oktober hervorgerufen wurde: Mitteilung des Finanzamts über Neuordnung meiner Ruhebezüge mit Rückwirkung vom 1. 4. 36. Ich erhalte monatlich 12 M. mehr und 173 M. nachgezahlt. Statt mich über die kleine Hilfe zu freuen, bin ich aufs peinlichste an die zahllosen Löcher erinnert, die ich damit NICHT zustopfen kann (insbesondere an die verfallende Lebensversicherung). Dennoch: eine kleine Hilfe ist es, mindestens kann nun die Terrasse über der Garage fertig werden, und vielleicht lässt sich auch der skandalöse Kotflügel flicken, und * Eva erhält ersehnte Rosen für den Garten, und die Zahnarztrechnung, gegen deren Übermaß ich protestiert habe, drückt etwas weniger. –
Sehr aushäusiger Tag. Um 11 Uhr vorm. in Freital im Capitol: Freifilm der Shell-Gesellschaft: Deutschland ist [s]chön! Sie bauen ihre ganze Reklame auf ihre Tourenkarten. Wunderschöne Bilder. (dicht beim Capitol, auf freiem Platz an der Weisseritz steht ein Jugendheim; da war ich vorgestern Vorm. zur militärischen Vormusterung des Bocks.) – Am Abend um acht in der Sophienkirche (in der * * Koehlers getraut wurden) zu einer Abendmusik von * Dietrich Buxtehude (300. Geburtstag). Wunderhübsche, eigentlich ganz weltliche Musik (Bauerntanz, Menuett etc.) All dieses Fahrten – auch Musterung – bei strömendem Regen. Kälte, Regen, Heizenmüssen den ganzen April. Gestern holte ich im Bock einen Sack Kohlen, da unser Vorrat zu Ende.
29. April, Donnerstag.
1933 entdeckte ich ganz für mich den * Lahontan durch die Erstausgabe der hiesigen Bibliothek. Durch das emigrierte Frl. * Günzburg, Schülerin * W[a]lzels, die bei mir gehört hat und mich in ihrer Dissertation unter ihren Lehrern nannte, erhielt ich einige biogr. No[t]izen aus Paris, die mir wenig gaben. Dann stiess ich auf die Monographie * Chinard, 1 bestellte sie für das rom. Seminar und hatte sie hier auf meinem Schreibtisch unaufgeschnitten liegen. Dann kam die [K]atastrophe, ich musste alles abgeben. Dann wandte ich mich an * Wengler. Er besuchte mich gleich mit seiner * Schwester, um mir zu sagen, dass er die Herausgabe nicht wagte (Strafe für mein Verhalten gegen * Gusti Wieghardt!) Als ich an dem Buch durchaus nicht mehr vorüber konnte, schrieb ich an * Nikisch. 2 So förmlich als möglich. Seine Antwort ist hier aufbewahrt, 3 denn es ist amüsant, wie er zwischen Vorsicht und Schamgefühl schwankt: die Anrede, nicht Kollege, aber auch nicht der Titel. Intim und ungefährlich, darüber hat er nachgedacht. Ein Rest Anstand, dass er den Heilgruss beiseite liess. Endlich bekam ich den Chinard durch die Landesbibliothek, wo man mir mit einer Art Beschämung entgegenkommt. Auch die grosse von mir angeschaffte * Fénelon-Ausgabe zog ich so heran und die unwesentliche * Perrault = Arbeit, 4 die bei * Lerch gemacht worden ist. (Wo steckt er? Meine Bitte an seine Adresse in Münster blieb ohne Antwort).
Seit ein paar Tagen lese ich mich nun in Fénelon ein. Doppelt enttäuscht: 1) ist alles über ihn gesagt, ich kann nur nachbeten, und 2. scheint mir sein Ruf ein wenig surfait.
Der erste Mai. Schlagzeile der Zeitung: []Die grösste Kundgebung [ d ]der Welt 120 Kilometer Aufmarschstrassen in Berlin für den Aufmarsch der Schaffenden. Der lange
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